ISSN 1613-8856

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Rückgang bei Demenzerkrankungen

2015 | Jahrgang 12 | 4. Quartal

Keywords: Demenz, Prävalenz, Pflegestufe, Neurologe, Antidementiva

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Gabriele Doblhammer

Es gibt nur wenige Diagnosen, die so endgültig sind wie „Demenz“. Bis auf seltene Ausnahmen ist die Erkrankung unheilbar. Im Schnitt heißt das für die Patienten: Noch drei bis zehn verbleibende Lebensjahre, von denen 30 Prozent im moderaten und 40 Prozent im ernsthaften Krankheitszustand verbracht werden. Weil Demenzkranke gerade zum Ende ihres Lebens sehr intensive Pflege benötigen, ist sie eine der teuersten zu behandelnden Krankheiten. Die Kosten für die ambulante und stationäre Pflege insgesamt lagen 2008 bereits bei knapp acht Milliarden Euro. Und es wird mit Sicherheit nicht weniger werden. 

Doch auch wenn die absolute Krankenzahl durch die zunehmende Alterung wächst, nahm die relative Häufigkeit von Demenz zumindest bei den Frauen ab, wie Anne Fink, Thomas Fritze und Gabriele Doblhammer vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels schreiben. Für gleich zwei aktuelle Studien konnten die Wissenschaftler auf umfangreiche, anonymisierte Abrechnungsdaten der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) zurückgreifen. Aufgrund der hohen Fallzahlen war es möglich, für jedes Alter ab 65 Jahren die relative Häufigkeit der Demenzerkrankungen, auch Prävalenz genannt, zu berechnen. 

Um nun kurzfristige Trends zu erfassen, untersuchten die Autoren, wie sich die relativen Fallzahlen von 2007 bis 2009 entwickelt haben. Dieser kurze Untersuchungszeitraum ist auf die eingeschränkte Datenverfügbarkeit zurückzuführen, hat aber auch einen entscheidenden Vorteil: Diagnoseverfahren der Demenz und die Abrechnung der für den Patienten erbrachten Leistung haben sich währenddessen nicht stark verändert, so dass die Zahlen gut vergleichbar sind. 

Ganz generell lässt sich feststellen, dass das Risiko, an Demenz zu erkranken, im Alter von 65 Jahren noch relativ gering ist: Auf 100 Frauen kommen im Schnitt 1,2 Demenzkranke, bei den Männern sind es 1,5 Demenzkranke. Bis zum Alter von 85 Jahren steigt das Risiko dann jedoch exponentiell. Es verdoppelt sich bei den Frauen ungefähr alle fünf Jahre, bei den Männern circa alle sechs Jahre, so dass der Anteil der erkrankten Frauen sehr bald höher ist als bei den Männern. Ab einem Alter von etwa 85 Jahren verlangsamt sich die Zunahme der Erkrankungen wieder und wird linear. Bei den 100-Jährigen schließlich sind 33 von 100 Männern und 47 von 100 Frauen an Demenz erkrankt. Diese Zahlen decken sich weitgehend mit vorangegangenen europäischen Studien zur Prävalenz von Demenz. 

Relative Häufigkeit von Demenzerkrankungen 2007-2009 (Referenzjahr 2009 = 100)

Relative Häufigkeit von Demenzerkrankungen 2007-2009 (Referenzjahr 2009 = 100)

Tab. 1: Gemessen am Jahr 2009 zeigen Zahlen unter 100 einen geringeren Anteil an Demenzkranken an, Zahlen über 100 einen größeren Anteil. Quelle:  AOK, eigene Berechnungen.

Doch die Zunahme der Krankenzahlen mit dem Alter verläuft in den Jahren 2007, 2008 und 2009 nicht deckungsgleich: Vor allem bei den Frauen im Alter von 75 bis 84 Jahren ist ein recht deutlicher Rückgang der Prävalenz um knapp zwei Prozent pro Jahr zu sehen (vgl. Tab. 1). Auch bei den Männern in der gleichen Altersklasse lässt sich ein leichter Rückgang von knapp einem Prozent pro Jahr feststellen, der jedoch nicht statistisch signifikant ist. In der jüngeren Altersklasse (65 bis 74 Jahre) sind Trends über die kurze Zeitspanne nur sehr schwer auszumachen, weil die Fallzahlen für Demenzerkrankungen hier noch sehr gering sind. Ähnlich sieht es bei der Altersgruppe der über 85-Jährigen aus. Aufgrund der bereits sehr hohen Sterblichkeit in diesem Alter ist die Zahl der Versicherten relativ klein. Dies ist die erste Studie, die für Deutschland Trends im Auftreten von Demenzerkrankungen untersucht, vergleichbare Trends finden sich jedoch auch in anderen europäischen Nachbarländern. 

Die absoulte Zahl der Demenzkranken nimmt dadurch jedoch nicht ab. Denn dem Rückgang der Prävalenz stehen zwei andere Entwicklungen entgegen: Zum einen steigt die Lebenswartung, so dass mehr Menschen ein höheres Alter erreichen. Zum anderen nimmt die Zahl der demenzgefährdeten Menschen zu, weil die geburtenstarken Jahrgänge, die so genannten Babyboomer, in das entsprechende Alter kommen. Gäbe es in allen Altersklassen und bei beiden Geschlechtern einen jährlichen Rückgang der Demenzprävalenz um nur ein Prozent, so ließe sich damit die steigende Lebenserwartung ausgleichen. Ob dieses Ziel mit Blick auf die hier dargestellten Kurzzeittrends erreichbar ist, hängt auch von der weiteren Entwicklung wichtiger Risikofaktoren ab. Von besonderer Bedeutung scheinen dabei die Prävention und bessere Behandlung von Bluthochdruck, Diabetes Mellitus und Übergewicht im mittleren Erwachsenenalter zu sein. Eine wichtige Rolle kommt auch der Förderung geistiger und körperlicher Fitness im Alter zu. 

Abb. 1: In der  AOK-Studienpopulation erkrankten gut 10.000 Menschen zwischen 2006 und 2008 an Demenz. Ihren weiteren Krankheitsverlauf verfolgten die Rostocker Wissenschaftlerinnen bis 2010.

In einer zweiten Studie haben Fink und Doblhammer den Krankheitsverlauf von gut 10.000 AOK-Versicherten genauer untersucht, die in den Jahren von 2006 bis 2008 erstmals an Demenz erkrankten (s. Abb.1). Bis 2010 verfolgten sie, inwiefern die Art der Behandlung eine Auswirkung auf den Erhalt und die Höhe der Pflegestufe im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung hat sowie das Sterberisiko der Erkrankten beeinflusst. Generell erhielten im beobachteten Zeitraum Demenzerkrankte erst beim Vorliegen körperlicher Einschränkungen eine Pflegestufe zugesprochen. In die Pflegestufe I fallen dabei Menschen, die mindestens eineinhalb Stunden pro Tag Hilfe bei der Körperpflege, Ernährung und Mobilität benötigen, drei Stunden Pflege und mehr werden in der Stufe II geleistet, und Erkrankte mit der Stufe III werden mindestens fünf Stunden am Tag gepflegt. 

Je nachdem, ob ein Demenzkranker schon einer bestimmten Pflegestufe zugeteilt war, verfolgten Doblhammer und Fink bis 2010, wie hoch das Risiko für die nächsthöhere Pflegestufe beziehungsweise für den Tod war. Dabei unterschieden sie, ob die Kranken vorrangig durch einen Facharzt (Neurologen/Psychiater) oder durch einen nicht spezialisierten Arzt wie z.B. Allgemeinmediziner behandelt wurden und ob sie Demenz-Medikamente (Antidementiva) erhielten, die den kognitiven Verfall hinauszögern und die körperlichen Einschränkungen mindern sollen. 

Tatsächlich hat die Behandlung von Demenzpatienten einen erstaunlich großen Einfluss darauf, wie die Krankheit verläuft: So hatten Demenzkranke, die von einem Neurologen oder Psychiater betreut wurden, sowohl ein deutlich niedrigeres Sterberisiko als auch niedrigere Risiken für alle drei Pflegestufen (s. Abb. 2). Zwar könnte ein Teil dieses geringeren Risikos darauf zurückzuführen sein, dass die Fachärzte die Krankheit früher und damit in einem noch milden Stadium diagnostiziert haben. Grundsätzlich aber zeigte sich der Zusammenhang zwischen niedrigerem Pflege- bzw. Sterberisiko und der Behandlung durch einen Facharzt auch dann, wenn das Alter der Patienten und die Schwere bereits vorliegender körperlicher Einschränkungen berücksichtigt wurden. 

Abb. 2: Werte unter eins zeigen ein geringeres Risiko, Werte über eins ein höheres Risiko für eine (höhere) Pflegestufe beziehungsweise den Tod an. Quelle: AOK, eigene Berechnungen.

Bei der Medikamenten-Einnahme ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Während das Sterberisiko für Menschen, die Demenz-Medikamente einnehmen, ebenfalls deutlich zurückgeht, nimmt das Risiko für alle drei Pflegestufen zu. Diese Zunahme führen Fink und Doblhammer jedoch in erster Linie darauf zurück, dass die Medikamente in Deutschland vergleichsweise selten und dann auch eher bei schweren Krankheitsverläufen verschrieben werden, bei denen die Pflegebedürftigkeit von vornherein erhöht ist. 

Insgesamt, so schreiben die Autorinnen, zeige die Analyse, dass die Behandlung durch einen Facharzt den körperlichen Abbau und damit die Pflegebedürftigkeit durchaus senken könne und dass eine häufigere und frühere Gabe von Antidementiva eventuell weitere Verbesserungen erzielen könnte. Befürchtungen, dass eine verbesserte medizinische Versorgung der Demenzkranken den Tod herausschieben und die Jahre der Pflegebedürftigkeit in die Höhe treiben könnte, mögen daher unbegründet sein.

Literatur

  • Doblhammer, G., A. Fink and T. Fritze: Short-term trends in dementia prevalence in Germany between the years 2007 and 2009. Alzheimer’s & Dementia 11(2015)3, 291- 299.
    DOI: 10.1016/j.jalz.2014.02.006
  • Fink, A. und G. Doblhammer: Risk of long-term care dependence for dementia patients is associated with type of physician: an analysis of German health claims data for the years 2006 to 2010. Journal of Alzheimer‘s Disease 47(2015)2, 443-452.
    DOI: 10.3233/JAD-142082

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Aus Ausgabe 2015/4

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