ISSN 1613-8856

Vienna Institute of Demography

Zwei, eins, keins!

2018 | Jahrgang 15 | 2. Quartal

Keywords: Familiengröße, Kohortenfertilität, Dekomposition, Fertilitätsrückgang

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Kryštof Zeman

Die vier Wissenschaftler vom Vienna Institute of Demography haben sich dafür die Entwicklung der endgültigen Kinderzahl von Frauen angesehen, die zwischen 1940 und 1970 geboren wurden (s. Abb. 1). Anders als die so genannte periodische Geburtenrate, die verzerrt wird, wenn sich das Alter der Mütter bei der Geburt verändert, bezieht sich diese so genannte Kohorten-Geburtenrate auf die tatsächliche Anzahl an Kindern, die Frauen bekommen haben. Sie kann immer erst erhoben werden, wenn die Frauen der untersuchten Geburtenjahrgänge ein Alter erreicht haben, in dem sie in der Regel keine weiteren Kinder mehr bekommen können. Sehr späte Geburten – in dem vorliegenden Fall nach dem 43. Lebensjahr – werden dabei zwar nicht erfasst, können aufgrund ihrer geringen Anzahl aber auch meist vernachlässigt werden. Verglichen wurden insgesamt 32 Länder mit einer niedrigen Geburtenrate. Als Grundlage dafür dienen vor allem die aktuellsten Zensusdaten der Länder, sowie Datensätze aus anderen Studien und von den Statistischen Ämtern. 

Abb. 1: Vor allem in Südeuropa, Westeuropa und Ostasien bekamen Frauen, die 1940 geboren wurden, noch viel mehr Kinder als spätere Geburtenjahrgänge. Hinter dem Rückgang stehen allerdings sehr verschiedene Entwicklungen. Quellen: Bevölkerungzensus und größere Datensätze der Länder, siehe 38-25_supplement.xlsx auf https://www.demographic-research.org/volumes/vol38/25/

In den meisten Ländern lag die durchschnittliche endgültige Kinderzahl bei den Frauen, die Anfang der 1940er Jahre geboren wurden, noch bei 1,9 bis 2,5 Kindern pro Frau. Das entsprach vielerorts ungefähr dem so genannten Bestandserhaltungsniveau, das üblicherweise bei 2,1 bis 2,2 Kindern pro Frau angesetzt wird. In Australien, Neuseeland und den USA lag die Kohorten-Geburtenrate der 1940er Jahrgänge sogar zwischen 2,5 und 2,7 Kindern pro Frau, in Südkorea war sie noch höher. Doch danach sanken die Geburtenraten in allen Ländern. Bei den Frauen, die um 1970 herum geboren wurden, war die durchschnittliche endgültige Kinderzahl in fast allen Ländern unter die Marke von zwei Kindern gerutscht. Vor allem bei den Geburtsjahrgängen von 1940 bis 1955 sank sie recht schnell. In den Jahrgängen von 1955 bis 1970 verlangsamte sich dieser Rückgang wieder etwas. 

Für die Frauen, die zwischen 1940 und 1955 geboren wurden, lässt sich ein allgemeiner Trend feststellen: In beinahe allen Ländern fielen die Geburtenraten vor allem deshalb, weil kinderreiche Familien seltener wurden, schreiben Kryštof Zeman, Éva Beaujouan, Zuzanna Brzozowska, und Tomáš Sobotka. Der Anteil der Frauen mit drei, vier oder mehr Kindern ging stark zurück (vgl. Abb. 2). Besonders groß war dieser Rückgang in Ostasien, Spanien und Irland, wo zuvor noch relativ hohe Geburtenraten verzeichnet wurden. Auch in Westeuropa ist der Rückgang mit 0,41 Kinder pro Frau noch erheblich, und auch hier sind zwei Drittel dieses Rückgangs dadurch bedingt, dass weniger Frauen drei und mehr Kinder bekommen. In den USA, Australien und Neuseeland sinkt die Kohorten-Geburtenrate von 1940 bis 1955 mit 0,43 Kindern pro Frau ähnlich stark. Dabei spielten jedoch alle so genannten Paritäten eine Rolle: sowohl der Anteil der Erstgeborenen, als auch der Zweitgeborenen und auch der Drittgeborenen samt weiterer Geschwister gingen zurück. Lediglich in Westdeutschland, den Niederlanden und der Schweiz nahm bereits bei diesen älteren Kohorten auch die Kinderlosigkeit deutlich zu. Die geringsten Rückgänge bei der Geburtenrate haben bei den älteren Kohorten zunächst noch die ost- und mitteleuropäischen Länder zu verzeichnen. Hier sank die endgültige Kinderzahl im Schnitt nur um 0.03 beziehungsweise 0.08 Kinder pro Frau. 

Für die Frauen, die zwischen 1955 und 1970 geboren wurden, lässt sich schließlich kein übergreifender Trend mehr ausmachen (s. Abb. 2). Hier waren alle Paritäten von Bedeutung: sowohl der Anteil der Erstgeborenen, als auch der Zweit- sowie der Drittgeborenen samt weiterer Geschwister gingen zurück. Allerdings zeigten sich ganz unterschiedliche Szenarien in den untersuchten Ländern. So bekamen Frauen, die in Mittel- und Osteuropa lebten, statt zwei Kindern oft nur noch eines. Die Einstellung zu Kinderlosigkeit sei in den ehemaligen sozialistischen Ländern so negativ gewesen, dass die meisten Paare noch ein Kind bekamen, vermuten die Autoren der Studie. Gleichzeitig war die Arbeitsbelastung der oft Vollzeit arbeitenden Mütter und Väter hoch, und viele Eltern verzichteten auf weitere Kinder. Hinzu kamen in diesen Ländern schlechte wirtschaftliche Bedingungen sowie ein schwieriger Wohnungsmarkt. In Russland bekamen etwa 40 Prozent der Frauen, die in den späten 1960ern geboren wurden, lediglich ein Kind. 

Anteil der Paritäten am Rückgang der Kohorten-Geburtenrate zwischen 1940 und 1955 sowie zwischen 1955 und 1970

Anteil der Paritäten am Rückgang der Kohorten-Geburtenrate zwischen 1940 und 1955 sowie zwischen 1955 und 1970

Abb. 2: Der Rückgang der endgültigen Kinderzahl hat verschiedene Ursachen: Bei den älteren Geburtsjahrgängen nimmt vor allem die Zahl der Mütter ab, die mehr 
als zwei Kinder bekommen. Jüngere Frauen bekommen mehr Einzelkinder oder bleiben häufiger ganz kinderlos.  Quellen: siehe 38-25_supplement.xlsx auf www.demographic-research.org/volumes/vol38/25/, eigene Berechnungen 

Dagegen war es in deutschsprachigen Ländern, in Südeuropa und in Ostasien vor allem die zunehmende Zahl an Kinderlosen, welche die durchschnittliche Kinderzahl der zwischen 1955 und 1970 Geborenen weiter sinken ließ. Die Autoren sehen als Ursache dafür vor allem die traditionelle Rollenverteilung in diesen Ländern, die für Frauen oft nur die Wahl zwischen Erwerbstätigkeit oder Mutterschaft zuließ. Gleichzeitig verbreitete sich ein neuer Lebensstil ohne Kinder, der auf individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung zielte. In südeuropäischen Ländern bekamen viele Frauen wahrscheinlich auch aufgrund des instabilen Arbeitsmarktes weniger Kinder, schreiben die Autorinnen und Autoren. In den ostasiatischen Länder hingegen könnte entscheidend gewesen sein, dass an die Erziehung von Kindern hohe finanzielle und zeitliche Anforderungen gestellt wurden. Auch eine schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie könnte für die fallenden Geburtenraten ursächlich sein. 

In den nordeuropäischen Ländern und den USA hingegen stabilisierte sich die durchschnittliche endgültige Kinderzahl bei den Frauen der Jahrgänge 1955 bis 1970 bereits wieder oder stieg sogar an. In Australien, Neuseeland und den meisten westeuropäischen Ländern ging die Kohorten-Geburtenrate im gleichen Zeitraum nur leicht zurück. Dabei waren sowohl die leichten Rückgänge als auch die Anstiege in diesen Ländern relativ gleichmäßig auf die verschiedenen Paritäten verteilt. Eine fortschrittliche Politik für Familien und eine relativ gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, könnten diese Entwicklung begünstigt haben, schreiben Kryštof Zeman und seine Kollegen. 

Anteil der Paritäten am jährlichen Rückgang der Kohorten-Geburtenrate unter 1,75 Kinder pro Frau

Anteil der Paritäten am jährlichen Rückgang der Kohorten-Geburtenrate unter 1,75 Kinder pro Frau

Abb. 3: Auch in Ländern, in denen die Kohorten-Geburtenrate ein besonders niedriges Niveau erreicht, sind die treibenden Faktoren unterschiedlich: Während in 
Osteuropa vor allem die Zahl der Zweitgeborenen stark zurückgeht, hat in den meisten anderen Ländern die Kinderlosigkeit den größten Anteil am Geburtenrückgang. Quellen: siehe 38-25_supplement.xlsx auf www.demographic-research.org/volumes/vol38/25/, eigene Berechnungen

Besondere Aufmerksamkeit richteten die Autorinnen und Autoren auf Länder, in denen die endgültige Kinderzahl unter den Wert von 1,75 sank. In Westdeutschland wurde diese Marke bereits von den Frauen, die um 1950 geboren wurden, unterschritten. Bei den Geburtsjahrgängen um 1960 folgten weitere neun Länder. Obwohl diese Länder durchaus unterschiedliche Entwicklungen zeigten, folgten sie im Wesentlichen den skizzierten regionalen Mustern: Mittel- und Osteuropa mit einer deutlichen Zunahme der Ein-Kind-Familien und andere Regionen mit einem starken Anstieg der Kinderlosigkeit (s. Abb. 3). In den hier untersuchten Zeiträumen herrschte in den meisten Ländern eine relativ große Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: Während das Modell des männlichen Alleinverdieners gefördert wurde, gab es bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie kaum Fortschritte. Ein weiterer wichtiger Faktor für die niedrige engültige Kinderzahl bei den jüngeren Jahrgängen war die wirtschaftliche Unsicherheit, vor allem in Ländern Süd-, Mittel- und Osteuropas.

Literatur

  • Zeman, K., É. Beaujouan, Z. Brzozowska and T. Sobotka: Cohort fertility decline in low fertility coun- tries: Decomposition using parity progression ratios. Demographic Research 38(2018)25, 651-690.
    DOI: 10.4054/DemRes.2018.38.25

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Aus Ausgabe 2018/2

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