Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Schlechtes Lebensumfeld – schlechte Gesundheit

2019 | Jahrgang 16 | 4. Quartal

Keywords: Gesundheitliche Ungleichheit, Gesundheitszustand, Umweltverschmutzung, Wohnmobilität, Sozioökonomische Faktoren

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Benjamin Aretz

Demnach ist es vor allem eine hohe oder sich erhöhende Umweltbelastung sowie schlechte oder mittelmäßige Infrastruktur, die der Gesundheit schaden, zeigen Benjamin Aretz und Gabriele Doblhammer von der Universität Rostock sowie Fanny Janssen von der Universität Groningen. Die drei Wissenschaftler haben mit Hilfe von Daten des deutschen Sozio-oekonomischen Panels eine der wenigen Langzeitstudien zu diesem Thema verfasst, die sowohl Veränderungen des Lebensumfeldes der Menschen als auch deren selbst bewerteten Gesundheitszustand über viele Jahre hinweg erfasst. Insgesamt flossen in die Untersuchung die Angaben von 4600 Erwachsenen ein, die ihren Wohnort im Untersuchungszeitraum nie verändert haben. Sie hatten in den Jahren von 1999 bis 2014 regelmäßig Auskunft über ihr Lebensumfeld sowie ihren Gesundheitszustand gegeben. Um einen kausalen Zusammenhang zwischen der Qualität des Lebensumfeldes und der Gesundheit der Menschen herstellen zu können, haben die Autoren zunächst die Umweltbelastung sowie die Qualität der Infrastruktur und der Wohnbedingungen in einem Zeitraum von fünf Jahren erfasst. Als Basisjahr wurde jene Befragung definiert, in der das erste Mal der Gesundheitszustand einer Person erfragt wurde und bereits Informationen zum Lebensumfeld vorlagen. Ab dem Basisjahr schließlich flossen die Gesundheitsangaben der Befragten in die Untersuchung ein, um so mögliche Folgen der Lebensbedingungen auf die Gesundheit messen zu können (s. Abb.1). Andere Faktoren, die sich auf den Gesundheitszustand auswirken könnten, wie etwa die wöchentlichen Arbeitsstunden, das Haushaltseinkommen oder regelmäßiger Nikotinkonsum wurden dabei berücksichtigt und so weit wie möglich aus den Ergebnissen herausgerechnet. 

Abb.1: Die Wissenschaftler untersuchten sowohl kurzfristige (Mitte) als auch langfristige (rechts) Auswirkungen von Umweltbeeinträchtigungen auf die Gesundheit.

Daten zum Lebensumfeld beinhalten Angaben zur Infrastruktur (z.B. zu Einkaufsmöglichkeiten, Zugang zu sozialen Diensten und öffentlichen Verkehrsmitteln), zur Umweltbelastung (Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und Grünflächen) sowie zu den Wohnbedingungen (baulicher Zustand/ Renovierungsbedarf). Weil diese Angaben wiederholt abgefragt wurden, konnten nicht nur der einmalige Zustand dieser Lebensbedingungen, sondern auch Verschlechterungen oder Verbesserungen erfasst werden. Insgesamt änderten sich bei etwa 15 Prozent der Befragten im Untersuchungszeitraum die Infrastruktur und der Umweltzustand und bei 19 Prozent die Wohnbedingungen. 

Alle zwei Jahre wurden zudem die Daten zur körperlichen Gesundheit erhoben. Diese wurden in Form des Gesundheitsindexes „physical component summary (PCS)“ erfasst. Dafür müssen die Befragten selber Einschätzungen zu körperlichen Funktionen, zur allgemeinen Gesundheit und Schmerzen abgeben. Die Skala des Gesundheitsindexes reicht von 0 bis 100 Punkten, wobei der Durchschnitt aller Angaben bei 50 Punkten liegt. 

Mit Hilfe dieser Daten untersuchten Aretz, Doblhammer und Janssen zwei verschiedene Modelle. Beim ersten Modell („Level-Modell“, linke Hälfte von Abb.1) setzten sie die Gesundheitsangaben aus dem Basisjahr in Relation zu den vorherigen Angaben zum Lebensumfeld. Damit ließ sich überprüfen, ob ein durchgehend schlechtes oder verschlechtertes Lebensumfeld mit einer niedrigen Punktzahl beim Gesundheitsindex PCS einhergeht. 

Tatsächlich zeigte sich, dass Menschen, deren Infrastruktur sich in den vorangegangenen fünf Jahren verschlechtert hatte, einen deutlich niedrigeren PCS-Wert erzielten, als solche, die über eine stabile und gute Infrastruktur verfügten. Auch Menschen, die von mäßigen, hohen oder erhöhten Umweltbelastungen um sie herum berichtet hatten, schnitten bei den Gesundheitswerten schlechter ab, als diejenigen, die konstant lediglich geringen Belastungen ausgesetzt waren. Das Gleiche gilt für die Wohnbedingungen. Auch hier hatte ein schlechter oder sich verschlechternder Zustand geringere Werte im Gesundheitsindex zur Folge. Sich verbessernde Zustände führten hingegen in allen drei Bereichen des Lebensumfeldes zu ähnlich hohen Gesundheitswerten wie konstant gute Zustände. Die weitere Entwicklung der Gesundheit beobachteten Aretz, Doblhammer und Janssen schließlich mit Hilfe des sogenannten „Change-Modells“ (vgl. rechte Hälfte Abb. 1). 

Tab.1: Verglichen mit Personen, die lediglich konstant schwachen Umweltbelastungen ausgesetzt waren, reduzierte sich der Gesundheitsindex von Menschen, die unter konstant mäßigen, konstant hohen sowie erhöhten Umweltbelastungen lebten, stärker. Eine schlechte Infrastruktur hatte einen ähnlichen Effekt. Quelle: SOEP 1999-2014, eigene Berechnungen

Damit untersuchten sie, bei welchen Menschen in den Folgejahren der Gesundheitsindex besonders stark gesunken ist. Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen könnten, aber nichts mit dem Lebensumfeld zu tun haben, werden dabei erfasst und aus den Ergebnissen herausgerechnet. Das gilt zum Beispiel für Menschen, die mit dem Rauchen aufhören oder  beginnen, die ihren Lebenspartner verlieren oder in Rente gehen (s. Abb.1). Offenbar sind es vor allem hohe und sich erhöhende Umweltbelastungen, die auch in den Folgejahren noch negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben (s. Tab.1). Konstant mäßige, hohe oder zunehmende Belastungen führten oft zu einem besonders deutlichen Rückgang des Gesundheitsindexes. Hier zeigte sich zudem ein deutlicher Geschlechterunterschied: Es sind vor allem die Männer, deren Gesundheit sich in diesem Fall verschlechtert (s. Abb.2). 

Interaktionseffekt: Erhöhte Umweltbelastungen

Interaktionseffekt: Erhöhte Umweltbelastungen

Abb.2: Gerade bei Männern wirkt sich eine Erhöhung der Umweltbelastungen negativ auf den Gesundheitsindex aus. Quelle: SOEP 1999-2014, eigene Berechnungen

Einen möglichen Grund für diesen Unterschied sehen die Autoren darin, dass sich Männer einigen Studien zufolge mehr im Freien aufhalten und dadurch etwa der Luftverschmutzung oder Lärmbelästigung häufiger und stärker ausgesetzt sind als Frauen. Daneben könnten auch biologische Unterschiede Männer sensibler auf Änderungen in diesem Bereich reagieren lassen. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um den Befund abzusichern und konkrete Wirkungsmechanismen zu identifizieren. Insgesamt liefern die Ergebnisse starke Beweise dafür, dass Gesundheit nicht nur vom Lebensstil abhängt, sondern auch von der Umwelt, in der wir uns bewegen und in der wir zu Hause sind. Vorherige Analysen zu diesem Thema konzentrierten sich oftmals auf Menschen, die ihren Wohnort und damit die Lebensbedingungen änderten, um anschließend die Auswirkung dieser Änderungen auf die Gesundheit untersuchen zu können. Dabei könnten allerdings bestimmte Merkmale und Charakteristiken von mobilen Menschen die Ergebnisse verzerren, schreiben die Autoren. Daher haben sie in ihrer Studie die Gesundheit von Menschen untersucht, die stets am gleichen Wohnort blieben, und berücksichtigen überdies auch soziodemografische und sozioökonomische Merkmale. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine mäßige oder schlechte Qualität der Infrastruktur, der Umwelt und auch der Wohnbedingungen sowohl kurz- als auch langfristige negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Insofern, so plädieren die Autoren der Studie, müsse das Lebensumfeld der Menschen stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Nicht zuletzt dann, wenn es darum geht, die gesundheitlichen Ungleichheiten in der Gesellschaft zu reduzieren, da Menschen mit höherer Bildung und höherem Einkommen oftmals auch in einem besseren Lebensumfeld wohnen.

Literatur

  • Aretz, B., G. Doblhammer and F. Janssen: Effects of changes in living environment on physical health: a prospective German cohort study of non-movers. European Journal of Public Health.[First published online: 18 March 2019].
    DOI: 10.1093/eurpub/ckz044

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2019/4

Artikel

Infoletter

Der kostenlose Infoletter erscheint viermal jährlich und ist sowohl als elektronische wie auch als Druckversion erhältlich.