In fast allen westlichen Industrienationen nimmt die durchschnittliche Lebenserwartung beständig zu, während die Geburtenraten auf niedrigem Niveau bleiben. Als eine Antwort auf die sozialen und ökonomischen Herausforderungen dieser demografischen Entwicklungen wird oft das sogenannte „aktive Altern“ angeführt. Geprägt wurde dieser Begriff von der Weltgesundheitsorganisation WHO, die darunter den „Prozess der Optimierung von Gesundheit, Teilhabe und Sicherheit“ versteht, „um die Lebensqualität der Menschen im Alter zu verbessern“. Während hier der Schwerpunkt auf dem Wohlergehen der Rentner liegt, geht es im allgemeinen Diskurs jedoch oft um mehr: Wer auch im Ruhestand noch erwerbstätig ist oder informelle, ehrenamtliche Arbeit leistet, entlastet die Sozialsysteme, die erwerbstätige Bevölkerung und die Gesellschaft als Ganzes. Eine positive Rolle, die jedoch auch für einen erheblichen Druck auf die Rentnergeneration sorgen kann und den ursprünglichen Sinn des „Ruhestandes“ umdeutet. Weil dadurch der wirtschaftliche Wert des längeren Arbeitens in den Vordergrund rückt, ist der Begriff des aktiven Alterns nicht gänzlich unumstritten.
Vor diesem Hintergrund untersucht Frank Micheel vom Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), inwieweit zukünftige Rentner und Rentnerinnen überhaupt einen aktiven Ruhestand anstreben und von welchen Faktoren eine solche Wahl beeinflusst wird. Insgesamt, das zeigen verschiedene Studien, kann sich in Deutschland ein Drittel bis die Hälfte der Menschen vorstellen, im Ruhestand einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Im Hinblick auf ehrenamtliche Aktivitäten, die einen großen Teil unbezahlter Arbeit repräsentieren, lässt sich eine vergleichbar hohe Bereitschaft beobachten. Unter älteren Personen, die aktuell im Ehrenamt nicht aktiv sind, können sich mehr als 40 Prozent vorstellen, sich zu engagieren. Neben finanziellen Gründen, die vor allem eine längere Erwerbstätigkeit befördern können, sind es auch persönliche Eigenschaften, die für eine solche Offenheit gegenüber dem aktiven Älterwerden ausschlaggebend sind.
Um diese genauer beschreiben zu können, greift Micheel in seiner Studie auf die so genannte Image-Theorie zurück. Dabei geht es darum, wie Menschen sich selber sehen und welches Bild sie von sich in der Zukunft haben. Die Daten für diese Untersuchung stammen aus der TOP-Studie („Transitions and Old Age Potentials“) des BiB, für die im Jahr 2013 über 1000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 55 bis 70 Jahren befragt wurden (Jahrgänge 1942 bis 1958). Sie gaben in der Studie unter anderem an, ob sie sich im Ruhestand „grundsätzlich vorstellen [können], noch einmal einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, egal, ob Teilzeit oder Vollzeit“. Um zu erfassen, ob die Befragten sich eine unbezahlte Tätigkeit vorstellen können, wurde zudem die Zustimmung zu folgender Aussage abgefragt: „Unter einem guten Ruhestand stelle ich mir vor, dass ich mich unentgeltlich nützlich mache.“ Aus den Angaben der Befragten ließen sich im Anschluss vier Gruppen generieren: Menschen, die im Ruhestand eine bezahlte Tätigkeit, eine unbezahlte Tätigkeit, beides oder keines von beiden ausüben wollen. Im Ergebnis wollen knapp 43 Prozent sowohl unbezahlter als auch bezahlter Arbeit nachgehen, 38 Prozent nur unbezahlter Arbeit, elf Prozent gar keiner Arbeit und knapp acht Prozent nur bezahlter Arbeit (vgl. Abb.1).
Abb.1: Nur gut jeder zehnte ältere Beschäftigte möchte im Ruhestand weder einer bezahlten noch einer unbezahlten Beschäftigung nachgehen. Quelle: TOP-Studie
Je nach Generation, Bildungsgrad, Wohnort, Einkommen und Gesundheit zeigen sich hier allerdings deutliche Unterschiede (vgl. Abb.1 und 2): So geben die jüngeren Befragten der Studie, die zwischen 1953 und 1958 geboren wurden, deutlich häufiger als ältere Befragte an, ohne Bezahlung arbeiten zu wollen. Das Gegenteil gilt für gut Gebildete, deren Wahrscheinlichkeit für unbezahlte Arbeit sich durchschnittlich um sechs Prozentpunkte verringert, während sie sehr häufig sowohl bezahlter als auch unbezahlter Arbeit nachgehen wollen (+12 Prozentpunkte). Ein sehr ähnliches Muster ergibt sich für Befragte, die eine sehr gute oder gute Gesundheit haben. Menschen in Ostdeutschland wählten die Kombination von bezahlter und unbezahlter Arbeit dagegen eher selten (-9 Prozentpunkte). Ähnliches gilt für Befragte mit hohem Einkommen (-7 Prozentpunkte).
Um neben diesen demografischen Grundangaben auch das Selbstbild der Menschen einordnen zu können, wertete Micheel darüber hinaus die Zustimmung der Befragten zu unterschiedlichen Aussagen aus, die Rückschlüsse auf bestimmte Einstellungen, Pläne und Zukunftsbilder erlauben (s. Abb. 2).
Abb.2: Aktiv werden wollen vor allem Menschen, die sich bereits im Voraus Gedanken über die Gestaltung ihres Ruhestandes machen. Menschen mit hoher Bildung wollen besonders oft sowohl unbezahlter als auch bezahlter Arbeit nachgehen. Quelle: TOP-Studie, eigene Berechnungen
So wurden Angaben zur erwarteten finanziellen Situation im Ruhestand, konkrete Pläne und Vorbereitungen auf eine Tätigkeit im Ruhestand sowie die Einschätzung der Selbstwirksamkeit und der Generativität der Befragten analysiert. Bei letzterer geht es darum, inwieweit Menschen das Wohl anderer Generationen im Blick haben, sich um sie kümmern und ein bleibendes Vermächtnis hinterlassen wollen. Gemessen wurde die Generativität in der TOP-Studie an dem Grad der Zustimmung zu verschiedenen Aussagen, wie zum Beispiel: „Für mich bedeutet Arbeit, mein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben.“ Der Effekt der Generativität auf mögliche Tätigkeiten im Alter zeigt sich wie erwartet vor allem bei der unbezahlten Arbeit: Bei Befragten, die ein hohes Maß an Generativität aufweisen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie einer unbezahlten Arbeit nachgehen wollen, während es weniger wahrscheinlich ist, dass sie gar keine oder eine bezahlte Tätigkeit ausüben wollen.
Mit zum Selbstbild gehört auch die berufliche Selbstwirksamkeit. Sie wird zum Beispiel gemessen an der Zustimmung zu der Aussage: „Beruflichen Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich mich immer wieder auf meine Fähigkeiten verlassen kann.“ Allerdings zeigen sich hier keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Grad der Selbstwirksamkeit und der Einstellung zum aktiven Altern.
Durchaus entscheidend für die Pläne im Ruhestand ist dagegen, wie die Befragten ihre voraussichtliche finanzielle Situation nach der Verrentung einschätzen. Wie vermutet steigt bei Menschen, die eine (sehr) gute finanzielle Lage im Ruhestand erwarten, die Wahrscheinlichkeit, dass sie einer unbezahlten Arbeit nachgehen wollen, deutlich.
Der stärkste Effekt auf die bevorzugte Art des Ruhestandes zeigt sich jedoch bei der Frage, inwieweit die Teilnehmenden der Studie bereits im Voraus bestimmte Handlungen planen und proaktiv vorbereiten (z.B. „Um mich auf den Ruhestand vorzubereiten, habe ich mit Personen in meinem privaten Umfeld über Erwerbsarbeit im Ruhestand gesprochen”). Für Befragte, die eine ehrenamtliche Arbeit bereits konkret planten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie einer unbezahlten (+14 Prozentpunkte) oder sowohl einer unbezahlten als auch einer bezahlten (+9 Prozentpunkte) Arbeit nachgehen, deutlich. Auch Befragte, die bereits vor dem Ruhestand eine Weiterbeschäftigung in der Erwerbsarbeit planten und vorantrieben, gingen häufiger einer bezahlten (+4 Prozentpunkte) oder sowohl einer bezahlten als auch einer unbezahlten Arbeit nach (+11 Prozentpunkte).
Wolle man das „aktive Altern“ fördern, seien hier mögliche Ansatzpunkte zu finden, schreibt Frank Micheel. Würde man ältere Menschen dazu ermuntern, ihren Ruhestand bereits im Voraus zu planen und so proaktiv zu gestalten, könnte der Anteil aktiver Rentnerinnen und Rentner steigen – und das wäre nicht zuletzt mit Blick auf die alternde Gesellschaft ein guter Anfang, um sich demografischen Herausforderungen zu stellen, so Micheel.