Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Unfruchtbar – aber nur vorübergehend?

2020 | Jahrgang 17 | 4. Quartal

Keywords: Fertilitätsverhalten, Lebensverlaufperspektive, Panelanalyse, Unfruchtbarkeit

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Jasmin Passet-Wittig

Etwa jede zehnte Frau und jeder zwölfte Mann im reproduktiven Alter hält sich selbst irgendwann einmal für unfruchtbar. Die Gründe dafür können verschieden sein: eine ärztliche Diagnose etwa oder das Ausbleiben einer gewünschten Schwangerschaft (der Partnerin). Doch weder in dem einen noch in dem anderen Fall muss das bedeuten, dass die Unfruchtbarkeit das ganze Leben anhält. 

Das zeigen Jasmin Passet-Wittig und Martin Bujard vom Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) gemeinsam mit Julia McQuillan von der University of Nebraska-Lincoln und Larry Greil von der Alfred University in einer aktuellen Studie. Die Demografinnen und Demografen werten darin Daten von sieben aufeinanderfolgenden Jahren des Beziehungs- und Familienpanels pairfam aus und können nachweisen, dass sich die Angaben zur eigenen Fruchtbarkeit im Laufe der Jahre bei nicht wenigen Befragten änderten. Das gilt vor allem für jene Frauen und Männer, die bei mindestens einer Befragung angaben, dass sie wahrscheinlich oder definitiv körperlich nicht in der Lage sind, sich auf natürliche Weise fortzupflanzen. 

Fast die Hälfte dieser Männer und immerhin 39 Prozent dieser Frauen hatten ihre Einschätzung bei der Befragung im Jahr darauf geändert (s. Abb. 1). Diejenigen, die angaben, sich auf natürliche Weise fortpflanzen zu können, behielten diese Einschätzung in 97 Prozent der Fälle bei. Nur 29 Prozent derjenigen, die sich irgendwann einmal für unfruchtbar halten, bleiben über den gesamten Studienzeitraum (2008-2015) bei dieser Einschätzung. 

Von unfruchtbar zu fruchtbar: Anteil der Männer und Frauen, die ihre Selbstwahrnehmung im Folgejahr änderten

Abb.1: Im Mittel haben fast die Hälfte der Männer und mehr als jede dritte Frau, die sich selbst für unfruchtbar hielten, diese Einschätzung bei der nächsten Befragung geändert. Quelle: Pairfam, Befragungswellen 1-7

Die Wahrnehmung der eigenen Fortpflanzungsfähigkeit ist also oft ein temporäres Phänomen, schlussfolgert das Team um Jasmin Passet-Wittig und weist darauf hin, dass Personen in Befragungen nicht als dauerhaft unfruchtbar betrachtet werden sollten, nur weil sie dies zu irgendeinem Zeitpunkt selbst so wahrgenommen haben. 

Um den zeitlichen Aspekt der Fruchtbarkeit besser abbilden zu können, untersuchten die Forschenden nicht nur die Mittelwerte der Befragungen, sondern erfassten auch Veränderungen bei einzelnen Befragten über sieben Jahre hinweg (Angaben hierzu in Abb. 2). Insgesamt wird deutlich, dass die Wahrnehmung der Fruchtbarkeit von wechselnden Lebensumständen und sozialen Unterschieden beeinflusst ist. Erwartungsgemäß steigt der Anteil der Männer und Frauen, die sich für unfruchtbar halten, mit dem Alter an. Aber auch die Verhütung spielt eine große Rolle: Wer nicht verhütet, hält sich eher für unfruchtbar als andere. Da das Risiko einer Schwangerschaft deutlich erhöht ist, wenn man nicht verhütet, liegt vermutlich auch die Aufmerksamkeit eher auf diesem Thema. 

Bin ich unfruchtbar? Einflussfaktoren auf die Selbstwahrnehmung

Abb.2: Liegt der Wert unter 1 so ist die Wahrscheinlichkeit, sich selbst für unfruchtbar zu halten, geringer. Liegt er über 1 ist sie höher. In Jahren, in denen  Befragte verhüteten oder angaben, einen fortpflanzungsfähigen Partner zu haben, nahmen sie sich seltener als unfruchtbar wahr als die Referenzgruppe. Quelle: Pairfam, Befragungswellen 1-7

Unfruchtbarkeit scheint zudem stark als Problem des Paares wahrgenommen zu werden: Hält jemand etwa den Partner oder die Partnerin für unfruchtbar, so steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Person selbst glaubt, nicht fortpflanzungsfähig zu sein (s. Abb. 2). Singles und Personen in Partnerschaften unterscheiden sich überraschenderweise nicht in der Wahrnehmung ihrer Fortpflanzungsfähigkeit. Größere Unterschiede zeigen sich indes bei der sozialen Herkunft. So spielt die Zahl der bereits geborenen Kinder, der Bildungsgrad, Migration und religiöse Konfession eine Rolle für die Wahrnehmung: Bei Eltern und gut Gebildeten ist es weniger wahrscheinlich, dass sie sich für unfruchtbar halten. Migranten der ersten Generation – und hier insbesondere Frauen sowie Männer islamischen Glaubens – vermuten hingegen deutlich häufiger als andere, dass sie keine Kinder bekommen können.

Insgesamt, so betonen die Autorinnen und Autoren, ist ein besseres Verständnis von Unfruchtbarkeit im Lebensverlauf wichtig, um beispielsweise zu verstehen, warum Kinderwünsche sich im Lebensverlauf ändern oder warum vorhandene Kinderwünsche nicht realisiert werden.

Literatur

  • Passet-Wittig, J., M. Bujard, J. McQuillan, A. L. Greil: Is perception of inability to procreate a temporal phenomenon? A longitudinal exploration of changes and determinants among women and men of reproductive age in Germany. Advances in Life Course Research, 45(2020)100339.
    DOI: 10.1016/j.alcr.2020.100339

Aus Ausgabe 2020/4

Artikel

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