Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Welche persönlichen Netzwerke haben Geflüchtete?

2022 | Jahrgang 19 | 4. Quartal

Keywords: Flüchtlinge, Persönliche soziale Netzwerke, Familie, Chancen, Deutschland, Bevölkerungsdichte

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Lenore Sauer

Wenn es um Informationen geht, welche Menschen nach Deutschland geflüchtet sind, hat man schnell einige Zahlen zur Hand: Die meisten stammen aus den Ländern Syrien, Afghanistan und dem Irak, zwei Drittel sind männlich, ein Drittel ist verheiratet und das Durchschnittsalter lag bei knapp 30 Jahren, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Doch um zu verstehen, wie die Menschen in ihrem Zielland leben, wie integriert sie sind und welche Beziehungen sie haben und aufbauen, braucht es genauere Angaben und Analysen. Lenore Sauer und Elisabeth K. Kraus vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) untersuchen daher in einer neuen Studie, welche sozialen Netzwerke Geflüchtete haben und wie diese mit den Familienstrukturen zusammenhängen. 

Denn sowohl gemeinsam geflüchtete Familienmitglieder als auch Verwandte, die bereits im Zielland wohnen, können gerade in der ersten Zeit nach der Flucht wichtige Stützen und Vertraute für persönliche Sorgen oder Gedanken sein. Doch welche Rolle spielen Partner*innen oder Kinder oder andere Verwandte von Geflüchteten auf längere Sicht? Inwieweit beeinflussen sie das persönliche Netzwerk in den ersten Jahren nach der Flucht? Diesen Fragen gehen Sauer und Kraus in ihrer Studie nach, indem sie Daten der „IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten“ auswerten. Für diese jährliche Erhebung werden Personen interviewt, die zwischen 2013 und 2019 nach Deutschland eingereist sind und hier einen Asylantrag gestellt haben, sowie ihre Haushaltsmitglieder. 

Unter anderem wird in dieser Erhebung erfasst, welchen Personen die Befragten persönliche Gedanken und Gefühle anvertrauen. Im Durchschnitt nannten Männer genau 2 und Frauen 2,2 enge Vertraute. Mit 16 Prozent gaben mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen an, gar keine Vertrauensperson zu haben (s. Abb. 1). Insgesamt besprechen 82,5% der geflüchteten Frauen und 66,9 % der Männer persönliche Gedanken oder Gefühle mit Familienmitgliedern (in der Regel mit dem oder der (Ehe-)Partner*in). Die Netzwerke außerhalb der Familie sind bei Frauen kleiner als bei Männern und die Vertrauten stammen meist aus demselben Herkunftsland wie der oder die Befragte. 

Zusammensetzung des persönlichen Netzwerkes 

Abb. 1: Zusammensetzung von persönlichen Netzwerken von Geflüchteten nach Relation zur befragten Person. Quelle: IAB-BAMF-SOEP, eigene Berechnungen

Auf Basis verschiedener Regressionsanalysen analysierten die Autorinnen der Studie, mit welchen Familienstrukturen und welchen anderen Faktoren die Zusammensetzung der sozialen Netzwerke in Zusammenhang stehen (vgl. Abb. 2). Demnach haben Personen, die mit ihrem oder ihrer Partner*in, ihren Kindern oder ihrer Familie in Deutschland leben, seltener außerfamiliäre oder interethnische Kontakte als Personen, die ohne Familie in Deutschland leben. Für die Existenz interethnischer Vertrauter ist dabei eher entscheidend, ob die Person in einer Partnerschaft oder verheiratet ist oder nicht, unabhängig vom Aufenthaltsort des Partners oder der Partnerin. Die Wahrscheinlichkeit für enge außerfamiliäre Kontakte hängt dagegen vor allem davon ab, ob es eine*n Partner*in gibt, der oder die ebenfalls in Deutschland lebt. 

Wichtige Einblicke liefert die tiefere Analyse auch für die persönlichen Netzwerke von Frauen. Dass diese größer, aber gleichzeitig weniger vielfältig und weniger außerhalb der Familie verortet sind, lässt sich nämlich zumindest in Teilen auch durch die Familienstrukturen erklären. So haben Frauen häufiger einen Partner im Vergleich zu Männern, wodurch sowohl interethnische als auch außerfamiliäre Kontakte eher seltener geknüpft  werden. Auch mit minderjährigen Kindern wohnen Frauen häufiger zusammen als männliche Geflüchtete, wobei Kinder nur bei den Männern nicht aber bei den Frauen die Wahrscheinlichkeit für außerfamiliäre Kontakte signifikant verringern. Als weitere Erklärung für die kleineren außerfamiliären und interethnischen Netzwerke der Frauen führen die beiden Autorinnen an, dass Frauen seltener erwerbstätig bzw. in Ausbildung sind oder zu Freizeitaktivitäten gehen – alles Faktoren, die außerfamiliäre Kontakte begünstigen (vgl. Abb. 2). 

Chance für außerfamiliäre und interethnische Kontakte

Abb.2: Bestimmende Faktoren für die Zusammensetzung von persönlichen Netzwerken, Regressionsmodell. Quelle: IAB-BAMF-SOEP, eigene Berechnungen 

Der Beitrag liefert neue Perspektiven sowie empirische Einblicke in die bestehende Forschung zu sozialer Integration von Migrierenden und hebt dabei die Bedeutung von Familie und familiären Bindungen hervor.

Literatur

  • Sauer, L. and E. K. Kraus: Personal social networks of recent refugees in Germany: does family matter? Journal of Immigrant & Refugee Studies [First published online: 05 January 2022].
    DOI: 10.1080/15562948.2021.2017096

Aus Ausgabe 2022/4

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