Zu Migration wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel geforscht. Im Fokus der Forschenden standen dabei häufig marginalisierte Gruppen – Menschen, die wegen Krieg, Verfolgung und Armut ihre Heimat verlassen. In einer neuen Studie hat ein Forschungsteam um Andreas Genoni vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung nun eine andere gesellschaftliche Gruppe in den Fokus genommen, nämlich die Gruppe der migrierenden Personen aus Wohlstandsgesellschaften. Die Studie, die in der Fachzeitschrift Migration Studies erschienen ist, reiht sich in ein Forschungsfeld ein, das in den letzten Jahren immer mehr Beachtung gefunden hat, nämlich die Glücksforschung. Die Forschenden wollten herausfinden, inwieweit sich eine Auswanderung positiv auf die Lebenszufriedenheit der Migrant*innen auswirkt. Die Lebenszufriedenheit ist ein komplexer Maßstab, der sich aber sehr gut zur Erforschung der allgemeinen Lebenssituation eignet, weil er viele Dimensionen des individuellen Wohlbefindens erfasst, beispielsweise die Zufriedenheit mit der Familie und dem Beruf, sowie alle Gewinne und Verluste infolge des Umzugs und (Nicht-)Erfolgs im Lichte zuvor bestehender Erwartungen bewertet. Für diese privilegierte Migrant*innen-Gruppe interessieren sich die Forscher, weil man über sie noch sehr wenig weiß, obwohl sie einen nicht unwesentlichen Teil des weltweiten Migrationsgeschehens ausmacht. Die Wissenschaftler nahmen für ihre Studie außerdem eine Perspektive ein, die in der Migrationsforschung eher neu ist: Sie betrachteten Migration nicht als ein singuläres Ereignis, sondern als ein möglicherweise wiederkehrendes Ereignis im Verlauf eines Lebens. Als Datenquelle diente die German Emigration and Remigration Panel Study (Deutsches Auswanderungs- und Rückwanderungspanel, GERPS), bei der international mobile Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Alter zwischen 20 und 70 Jahren zu ihrer Lebenssituation befragt wurden. In mehreren Erhebungsrunden wurden im Rahmen dieses Panels Deutsche adressiert, die im Ausland leben, und Deutsche, die gerade aus dem Ausland zurückgekehrt sind. Die Mehrheit dieser Migrant*innen ist hoch gebildet und wandert häufig nur für kürzere Zeit aus. Motive für die Auswanderung sind primär berufliche Gründe, aber auch Studium und Weiterbildung. Hinzu kommt die Gruppe derjenigen, die aus familiären und partnerschaftlichen Gründen ins Ausland mitziehen, und die Gruppe derjenigen, die zu ihren Partner*innen ins Ausland ziehen. Da Personen aus Wohlstandsgesellschaften, die einmal ausgewandert sind, tendenziell sehr mobil sind, gab es unter den in Deutschland lebenden Befragten einige, die während des Befragungszeitraums erst im Ausland waren, nach Deutschland zurückgekommen sind und wieder ins Ausland gegangen sind. Damit bot sich die seltene Gelegenheit, das Wohlbefinden derselben Personen vor und nach ihrer Auswanderung vergleichend zu untersuchen.
Subjektive Lebenszufriedenheit vor und nach einer Auswanderung
Abb.1: Die linke Grafik zeigt auf, mit welchen Annahmen die Forscher gearbeitet haben:Ihre erste Hypothese (H1) lautet wie folgt: Internationale Migrant*innen erleben kurz vor der Auswanderung einen Rückgang ihres Wohlbefindens. Die zweite Hypothese (H2) konzentriert sich auf den Umzug ins Ausland: Das Wohlbefinden von Migrant*innen blieb nach ihrem Umzug erhöht beziehungsweise nahm weiter zu. Die Hypothesen 3a und 3b beziehen sich auf den längerfristigen Aufenthalt im Ausland. Bei H3a wird angenommen, dass das Wohlbefinden zunimmt, H3b geht davon aus, dass die Steigerung nur vorübergehend ist. Die rechte Grafik zeigt das Ergebnis: H1 und H2 haben sich bestätigt, bei H3 ist das Ergebnis nicht ganz eindeutig, zeigt aber, dass die Lebenszufriedenheit mehr als zwei Jahre nach dem Wegzug tendenziell immer noch etwas höher ist als vor der Auswanderung.
Ein Umzug ins Ausland ist mit finanziellen Kosten, Unsicherheiten und Herausforderungen verbunden. Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch, dass internationale Migration als ein überwiegend positives Ereignis wahrgenommen wird und die Lebenszufriedenheit steigert (siehe Abb. 1). Es wird zudem deutlich, dass die Lebenszufriedenheit nach über zwei Jahren nach dem Wegzug immer noch leicht erhöht ist im Vergleich zu vor der Auswanderung. Die Forscher stellten fest, dass die Effekte auf die Lebenszufriedenheit bei Personen mit weniger Migrationserfahrung, das heißt bei Personen, die zum zweiten Mal ausgewandert sind, stärker variierten und sich bei Personen mit mehr Migrationserfahrung stabilisierten. Der Anstieg der Lebenszufriedenheit ist tendenziell stärker ausgeprägt als in Studien zur internen Migration. Darüber hinaus legen die Ergebnisse der Wissenschaftler nahe, dass eine Zunahme der Lebenszufriedenheit davon abhängt, welchen Einfluss die einzelnen Personen auf ihre Migrationsentscheidungen haben. So zeigen sich bei Personen ohne Partner*in die höchsten Zunahmen in der Lebenszufriedenheit. Es folgen Personen, die in einer Partnerschaft leben und die Wanderungsentscheidung maßgeblich selbst getroffen haben. Personen, die ihre Wanderungsentscheidung gemeinsam mit dem/der Partner*in getroffen haben, weisen einen etwas geringeren Zuwachs auf. Am geringsten fällt der Anstieg bei Personen aus, bei denen der/die Partner*in die Entscheidung zur Auswanderung maßgeblich getroffen hat.