Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Geburtenverhalten geflüchteter Frauen und Männer

2025 | Jahrgang 22 | 4. Quartal

Keywords: Deutschland, Eritrea, , Familiengründung, Gebärfähigkeit, Migranten, Zwangsmigration

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Elisabeth Kraus

Geburtenraten und Zuwanderungszahlen werden häufig miteinander in Verbindung gebracht. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Migration und Geburtenverhalten komplexer, als es einfache Deutungen nahelegen. Die Geburtenrate in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Gleichzeitig nehmen in Deutschland sowohl die Zuwanderung als auch die Abwanderung zu. 2023 kamen 1,93 Millionen Menschen nach Deutschland, während 1,27 Millionen das Land verließen. Viele Zugewanderte stammen aus der Ukraine, einem Land mit einer Geburtenrate von weniger als einem Kind pro Frau. Ähnlich wie in Deutschland sinken die Geburtenraten in den meisten europäischen Ländern, während sie in vielen Ländern des Globalen Südens, insbesondere in Afrika südlich der Sahara, deutlich höher sind. 

Geburtenverhalten seit Verlassen des Herkunftslandes

Geburtenverhalten seit Verlassen des Herkunftslandes

Abb. 1: Die Abbildung zeigt, dass es deutliche geschlechtsspezifische Muster in der Verteilung der Geburtenverläufe von Geflüchteten nach Verlassen ihres Herkunftslandes gibt. Frauen bekamen während und nach der Migration häufiger Kinder, was darauf hindeutet, dass es einen Zusammenhang zwischen Migration und dem Geburtenverhalten gibt. Im Gegensatz dazu blieben die meisten Männer während und nach ihrer Migration kinderlos. Die Grafik beruht auf den Daten von 612 Frauen und 660 Männern. In der Grafik hellgrau hinterlegt und mit „nicht zu Ende beobachtet“ gekennzeichnet sind die Daten der Personen, die nicht die vollen sechs Jahre beobachtet werden konnten, weil sie weniger als sechs Jahre vor dem Interview ihr Herkunftsland verlassen haben. Quelle: Forced Migration and Transnational Family Arrangements – Eritrean and Syrian Refugees in Germany (TransFAR 2020), eigene Berechnungen

Wer das Geburtenverhalten von Migrant*innen verstehen will, muss die Zusammensetzung der Einwander*innengruppen und deren Veränderungen über die Zeit genau analysieren. Man muss sich auch anschauen, wie sich die Geburtenraten verändern, denn hier findet in der Regel eine Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft statt. Auch die Frage, ob und wann Geflüchtete Kinder bekommen, spielt eine Rolle. Dabei könnten sich Unterschiede zwischen geflüchteten Männern und Frauen zeigen – ein Aspekt, der bisher kaum erforscht wurde. Diesen blinden Fleck hat Elisabeth Kraus vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung nun untersucht. Er ist unter anderem relevant, weil es deutlich mehr männliche als weibliche Geflüchtete in den meisten Geflüchtetengruppen in Deutschland gibt. Für ihre Studie, die in der Fachzeitschrift „Population, Space and Place“ erschienen ist, analysierte die Forscherin, wann Frauen und Männer auf der Flucht ihr erstes Kind und noch weitere Kinder bekommen. Dass sie in ihre Studie auch Männer einbezieht, ist schon an sich ein Novum, da sich die Forschung zur Fertilität bisher fast ausschließlich auf Frauen konzentrierte – sowohl in Mehrheitsgesellschaften als auch bei Migrant*innen und anderen Minderheiten. Frühere Studien zeigen, dass Migration das Geburtenverhalten beeinflusst. Faktoren wie Geschlecht, Aufenthaltsstatus und Familienkonstellationen spielen dabei eine Rolle. Migration ist zudem kein einmaliges Ereignis: Viele Migrant*innen verbringen Zeit in Transitländern, erleben lebensbedrohliche Situationen und wissen oft nicht, ob sie ihr Zielland erreichen. Besonders unfreiwillige Migration und das Zusammenführen von Familien sind häufig langwierig und komplex. 

Für ihre Studie untersuchte die Migrationsforscherin zwei große Migrant*innengruppen in Deutschland, nämlich Menschen aus Syrien und aus Eritrea. Die Wissenschaftlerin arbeitete mit den Daten einer Erhebung, die „Forced Migration and Transnational Family Arrangements – Eritrean and Syrian Refugees in Germany“(TransFAR 2020). Für diesen Datensatz wurden Geflüchtete aus beiden Ländern, die zwischen Juni 2013 und Juni 2019 in Deutschland angekommen sind, befragt. Themen der Befragung waren unter anderem die Anzahl der Kinder, sowie das Geburtsjahr und der Geburtsort aller Kinder. 

Die Wissenschaftlerin stellte fest, dass es beim Geburtenverhalten der hier lebenden Migrant*innen vor allem große Geschlechtsunterschiede gibt. Frauen, die kinderlos waren, als sie ihre Heimat verlassen haben, bekommen viel häufiger ihr erstes Kind während oder nach der Flucht als Männer, die bei Fluchtbeginn kinderlos waren. Geflüchtete Männer bleiben im Vergleich zu geflüchteten Frauen also häufiger ohne Partnerin und kinderlos. Bei beiden untersuchten Migrant*innengruppen ist das Muster, was die Geburt des ersten Kindes angeht, relativ gleich. Bei den Männern gibt es allerdings Unterschiede, was die Geburt weiterer Kinder angeht. Syrische Männer, die beim Verlassen ihres Herkunftslandes bereits Vater sind, bekommen schneller ein weiteres Kind als vergleichbare eritreische Männer. Entscheidend dafür, ob Menschen bei der Ankunft im Zielland relativ schnell Kinder bekommen, sind die Partnerschaften. Partner*innen, die nicht die ganze Flucht gemeinsam bestreiten und demnach teilweise getrennt leben müssen, bekommen seltener Kinder, wenn sie in Deutschland ankommen, als Paare, die den Weg gemeinsam zurückgelegt haben. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen, bleibt über den Zeitverlauf hinweg nicht gleich. Bei Männern und Frauen steigt die Wahrscheinlichkeit einer Erstgeburt während längerer Transitphasen und insbesondere nach der Ankunft in Deutschland. Auch die Chancen für eine weitere Geburt sind nach der Ankunft in Deutschland am höchsten, nach einer anfänglichen Phase sehr niedriger Fertilität. 

Die Wissenschaftlerin betont, dass die Ergebnisse im Kontext weiterer Forschung gesehen werden sollten. So wäre es wichtig zu prüfen, inwiefern sie sich auch auf andere Geflüchtetengruppen und auf andere Zielländer übertragen lassen.

Literatur

  • Kraus, E.K. and N. Milewski: Gendered migration patterns and fertility among refugees en route. Population, Space and Place 31(2025)5, e70057.
    DOI: 10.1002/psp.70057

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Aus Ausgabe 2025/4

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