Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Steigende Lebenserwartung geht mit besserer Gesundheit einher

2005 | Jahrgang 2 | 1. Quartal

Keywords: Bevölkerungsentwicklung, Pflegebedarf, Geschlechtsunterschiede

Wissenschaftliche Ansprechpartnerinnen: Uta Ziegler, Gabriele Doblhammer

Der Anteil der älteren Bevölkerung in Deutschland wird bis zum Jahr 2050 deutlich steigen . Waren im Jahr 2001 24 Prozent 60 Jahre und älter, werden dies 2050 etwa 37 Prozent sein. Der Anteil der über 80-jährigen Bevölkerung wird sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts Deutschland sogar verdreifachen: von 3,9 auf 12 Prozent. 1950 lag der Anteil der über 60- bzw. über 80-jährigen Personen noch bei 14 bzw. 1,0 Prozent in Westdeutschland und 16 bzw. 1,0 Prozent in Ostdeutschland. Das relative Wachstum der älteren Bevölkerung hat zwei Ursachen: die Geburtenziffern sind gesunken,  während gleichzeitig die Lebenserwartung gestiegen ist. Die vom Statistischen Bundesamt für ihre „mittlere Variante” der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zu Grunde gelegte Lebenserwartung von 81,1 Jahren für Männer und 86,6 Jahren für Frauen im Jahr 2050 muss dabei noch als sehr konservativ betrachtet werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Lebenserwartung in Deutschland im Jahr 2050 deutlich höher liegt als gegenwärtig angenommen wird. 

Als pflegebedürftig wurden im Jahr 2001 in Deutschland rund zwei Millionen Menschen nach Kriterien der Pflegeversicherung eingestuft. Das entspricht einem Anteil von etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung. Von diesen zwei Millionen Pflegebedürftigen wurden 70 Prozent (1,44 Millionen Personen) zu Hause versorgt, davon eine Million ausschließlich durch Angehörige und 435.000 Personen zusätzlich durch private Pflegedienste. 30 Prozent (604.000 Personen) wurden in institutionellen Einrichtungen betreut. 

Wie wird sich der Pflegebedarf in Zukunft entwickeln? Es ist gewiss, dass durch die Alterung der Bevölkerung der Anteil der pflegebedürftigen Personen an der Gesamtbevölkerung steigen wird. Allerdings muss die Zahl der pflegebedürftigen Menschen nicht proportional mit der Zunahme des Anteils der alten Menschen an der Gesamtbevölkerung steigen. Dies hängt davon ab, ob die durch die steigende Lebenserwartung gewonnenen Lebensjahre in Gesundheit oder Krankheit bzw. mit Pflegebedarf verbracht werden. 

Abb. 1: Anteil der nicht pflegebedürftigen Personen nach Alter in den Perioden 1991 bis 1997 und 1998 bis 2003 (SOEP)

Bisher konnte die Forschung kein einheitliches Bild über die Entwicklung von Behinderung und Pflegebedarf für alle Länder zeigen. Neuere Studien deuten jedoch hoffnungsvoll auf eine Kompression der Behinderung in die letzten Lebensjahre. Die Ergebnisse der einzelnen Studien hängen jedoch stark davon ab, welche Definition von Behinderung und Pflege verwendet wird. 

In Deutschland wird die Pflegebedürftigkeit der über 60-jährigen Frauen und Männer unter anderem innerhalb des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) erhoben. Diese jährliche Datenerhebung wird seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland durchgeführt. Das SOEP ist auf private Haushalte beschränkt und enthält damit nicht die pflegebedürftige Bevölkerung, die in Institutionen betreut wird. Damit unterschätzt das SOEP das Gesamtniveau des Pflegebedarfs. Jedoch ist zwischen 1991 und 2001 der Anteil der pflegebedürftigen Bevölkerung in Institutionen mit 29 bzw. 30 Prozent fast konstant geblieben. Daher führt das Fehlen der institutionellen Bevölkerung in den SOEP-Daten zu keiner Verzerrung in der allgemeinen Entwicklung der Pflegebedürftigkeit. 

Abb. 2 : Neue Pflegefälle (Inzidenz) pro 1000 Personenjahre nach Alter (SOEP 1991 bis 2003)

Wir definieren hier Pflegebedürftigkeit an Hand der beiden Kategorien „Einfache Pflegetätigkeiten“ – zum Beispiel Hilfe beim An- und Auskleiden, Waschen, Kämmen und Rasieren – sowie „Schwierige Pflegetätigkeiten“ – wie Hilfe beim Umbetten und Stuhlgang. Zieht man diese Kategorien heran , zeigt sich auf der Basis des SOEP, dass das Risiko der Pflegebedürftigkeit zwischen den beiden Perioden 1991 bis 1997 und 1998 bis 2003 geringer geworden ist. Abbildung 1 zeigt den Rückgang des Anteils der nicht pflegebedürftigen Personen für die beiden Perioden. Für die zweite Periode liegt der Prozentsatz der nicht pflegebedürftigen Personen mit Ausnahme weniger Altersgruppen tendenziell über dem für die erste Periode. Eine nähere Betrachtung nach Geschlecht zeigt, dass vor allem Männer von dem Rückgang profitiert haben. 

Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für Pflegebedürftigkeit. Diese steigt mit zunehmendem Alter exponentiell an. Abbildung 2 zeigt die Anzahl der neu Pflegebedürftigen pro 1000 Personenjahre. Männer haben ein ähnliches Risiko pflegebedürftig zu werden wie Frauen (Inzidenz). Betrachtet man hingegen die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit – den Anteil der pflegebedürftigen Personen in einer Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt –, zeigt sich ein höherer Frauenanteil (Abbildung 3). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Frauen, wenn sie pflegebedürftig sind, längere Zeit in diesem Status verbleiben als Männer. Das liegt daran,  dass in allen Altersgruppen die Sterblichkeit der Frauen niedriger ist als die der Männer. 

Ostdeutsche haben tendenziell ein höheres Risiko pflegebedürftig zu werden als Westdeutsche. Mögliche Ursachen dafür sind das weniger entwickelte Gesundheitssystem, eine generell ungesündere Lebensweise in Hinblick auf Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum und sportliche Aktivitäten sowie die höheren Umweltbelastungen in der ehemaligen DDR. 

In Westdeutschland lebende Zuwanderer haben über den gesamten Untersuchungszeitraum eine niedrigere Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden als Deutsche. Für diesen Unterschied kommen zwei Ursachen in Betracht: Es ist anzunehmen, dass vornehmlich gesunde Menschen ihr Land verlassen, um in einem anderen Land nach Arbeit zu suchen („healthy-migrant effect“). Das Ergebnis könnte jedoch auch ein Indiz dafür sein, dass Ausländer wieder in ihr Ursprungsland zurückkehren, bevor oder wenn sie pflegebedürftig werden. 

Auch Bildung beeinflusst das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Personen mit höherer Bildung – Realschulabschluss, Fachhochschulabschluss oder Abitur – haben ein niedrigeres Risiko als Personen mit Volks- bzw. Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss. Höhere Bildung führt nicht nur zu einem durchschnittlich höheren Einkommen , das einer Person bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie einen verbesserten Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt. Sie erhöht auch das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil – höher gebildete Personen ernähren sich besser, rauchen weniger, trinken seltener  Alkohol, und gleichzeitig betreiben sie öfter Sport und nehmen medizinische Vorsorgeuntersuchungen eher regelmäßig wahr als Personen mit einem vergleichsweise niedrigen Bildungsniveau. 

Abb. 3 : Anteil (Prävalenz) der pflegebedürftigenMänner und Frauen nach Alter (SOEP 2003)

Betrachtet man die Pflegebedürftigkeit nach dem Familienstand , finden sich in den SOEP-Daten niedrigere Risiken für ledige und geschiedene Personen als für Verheiratete, während verwitwete Personen in etwa das gleiche Risiko wie verheiratete Peersonen haben . Allgemein wird in der Literatur jedoch einstimmig den verheirateten Personen der beste Gesundheitszustand nachgewiesen. Diese Diskrepanz zwischen Literatur und der neuen SOEP-Analyse lässt sich durch das Fehlen der Bevölkerung in Pflegeeinrichtungen in diesem Datensatz erklären. Da verheiratete und verwitwete Personen häufiger einen Partner und/oder Kinder haben, die die Pflege übernehmen, können sie somit zu Hause gepflegt werden. Geschiedene und ledige Personen sind hingegen öfter auf institutionelle Hilfe angewiesen und fallen damit aus der Stichprobe des SOEP heraus. 

Insgesamt zeigt diese Analyse, dass die Alterung der Bevölkerung nicht von einem parallelen Anstieg der Zahl der pflegebedürftigen Personen begleitet sein muss. So sank in Deutschland von 1991 bis 2003 das Risiko pflegebedürftig zu werden. In Zukunft ist es wahrscheinlich , dass sich das ostdeutsche Lebensniveau weiter an das westdeutsche angleichen wird. Kommende Generationen werden zunehmend an der sich seit den 60er- Jahren ausbreitenden Bildungsexpansion partizipiert haben, wodurch sich das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung erhöht. Diese Faktoren sprechen dafür, dass das Pflegerisiko weiter sinken wird.

Literatur

  • Ziegler, U. and G. Doblhammer: Transition into care need in Germany 1991-2003: a study based on the German Socioeconomic Panel. Max Planck Institute for Demographic Research, Rostock 2005 (MPIDR working paper).
  • Doblhammer, G. and J. Kytir: Compression or expansion of morbidity? Trends in healthy-life expectancy in the elderly Austrian population between 1978 and 1998. Social Science and Medicine 52(2001)3: 385 - 391.
  • Statistisches Bundesamt (Hrsg.): 2 . Bericht: Pflegestatistik 2001; Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Ländervergleich: Pflegebedürftige. Statistisches Bundesamt, Bonn 2003, 14 S.

Aus Ausgabe 2005/1

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