Mehrere Jahrzehnte hatte die Norm in den Kinderwunschzahlen bei zwei gelegen. Inzwischen nennen Einwohner der deutschsprachigen Staaten eine ideale Familiengröße, die unterhalb des Bestandserhaltungsniveaus einer Bevölkerung liegt: Frauen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren gaben 2001 ideale Familiengrößen von durchschnittlich 1,7 Kindern an (vgl. Demografische Forschung Aus Erster Hand 2/2004). Zwar hatte Deutschland in der Europäischen Union schon immer die niedrigsten Wunschfamiliengrößen, doch derartige Tiefstwerte waren bisher nie verzeichnet worden.
Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Zwei-Kind-Familie in Europa nicht länger als Norm angesehen wird, wobei nicht alle Generationen und Personengruppen die Entwicklung der vorigen Jahrzehnte gleichermaßen teilen. In der neuen Studie geht es um die Frage, ob der Kontext der tatsächlichen Fruchtbarkeit der vorigen Generationen die Präferenzen der jüngeren Jahrgänge beeinflusst.
Verwendet wurden Daten aus der Eurobarometer-Umfrage von 2001 in 16 Staaten. Das Maß für den Kinderwunsch ist die persönlich ideale Familiengröße, wie sie erfragt wurde: „Und für Sie selbst: was wäre für Sie die ideale Anzahl von Kindern, die Sie gerne hätten oder gerne gehabt hätten?“ Für die Vorhersage der tatsächlichen Kinderzahl oder zur Einschätzung des realen Bedürfnisses nach Kindern, das in hohem Maß von Sachzwängen und Kompromissen beeinflusst wird, ist dieses Konzept zwar weniger geeignet, dennoch reflektiert es persönliche Wertmaßstäbe und Einstellungen. Die Idealkinderzahl kann als Obergrenze der Fertilitätszahlen betrachtet werden, da Ideale meist größer als Wünsche und Wünsche größer als die Realität sind.
Aus dem Kontext werden zwei Kennziffern verwendet, um den Einfluss der Lebenserfahrung der älteren Generationen (40 bis 60 Jahre) hinsichtlich der Kinderzahlen auf die Familienideale der jüngeren Generationen (20 bis 39 Jahre) zu bestimmen; dies sind: der Anteil von Kinderlosen unter den 40- bis 60-Jährigen sowie die mittlere Anzahl von Kindern, die diese älteren Generationen geboren haben.
Selbst wenn man die individuellen und regionalen Größen mit in Betracht zieht, ergibt sich ein bemerkenswerter Effekt des Anteiles von kinderlosen Angehörigen der älteren Generationen in einer Region auf die Präferenz für ein Familienideal ohne Kinder: Je höher der Anteil der Kinderlosen, desto mehr jüngere Personen wollen zeitlebens kinderlos bleiben. Zudem zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der mittleren tatsächlichen Fruchtbarkeit der älteren Generationen einer Region und der idealen Familiengröße von jenen Personen, die sich mindestens ein Kind wünschen: Je höher die tatsächlichen Fruchtbarkeitsraten, desto mehr Kinder wünschen sich die jüngeren (künftigen) Mütter und Väter.
Abb. 1: Auswirkung der mittleren Zahl von Kindern, die in der älteren Generation geboren wurden, auf die Anteile von Individuen der jüngeren Generationen mit Idealen zur Familiengröße. EU15, Jahr 2001
Abbildung 1 fasst die Rolle der mittleren tatsächlichen Fruchtbarkeit der älteren Generationen zusammen. Dargestellt werden für jedes Fertilitätsniveau die Anteile jener Nachkommen, die ein Kind, zwei bzw. mindestens drei Kinder haben wollen. Ein Lesebeispiel: In Regionen, in denen die heute 40- bis 60-jährigen Frauen im Durchschnitt zwei Kinder haben, halten von den jüngeren Frauen und Männern nur etwa zehn Prozent ein Kind für ideal, und mehr als die Hälfte der Befragten geben zwei Kinder als ideal an. Zu erkennen ist hier, dass sich die Auswirkungen von tatsächlichen Familiengrößen auf Fertilitätspräferenzen aber erst bei niedrigen und extrem niedrigen Fruchtbarkeitsraten zeigen. So ist der Anteil der Personen, die sich drei und mehr Kinder wünschen, in Regionen mit Fertilitätsraten unter 1,4 mit unter 20 Prozent nur etwa halb so groß wie der von Personen, die in Regionen mit relativ hohen Kinderzahlen leben.
Diese Resultate könnten die Gründe dafür erhellen, warum sich die Zwei-Kind-Norm während der zurückliegenden Jahrzehnte so stabil gehalten hat, als die Fertilität bei zwei und mehr Kindern pro Frau lag – ältere Jahrgänge übertragen ihre Fertilitätsideale über soziale Interaktion auf jüngere Kohorten.
Obwohl weitere Kontextfaktoren für die extrem niedrigen Fertilitätspräferenzen in Deutschland und Österreich verantwortlich sein mögen, kann die „historische“ Fruchtbarkeit der vorhergehenden Generationen als Schlüsselindikator bestätigt werden, der regionale Unterschiede in den Fertilitätsidealen erklärt. Diese Erkenntnisse sind nicht ohne Brisanz: Falls sich die Vorliebe für kleinere Familien als Resultat des fortwährenden Erlebens einer niedrigen Fruchtbarkeit in ganz Europa ausbreitet, könnte dies einen Aufschwung der Fertilitätsraten in Frage stellen. Somit wäre die Einführung von familienfreundlichen Maßnahmen eine noch größere Herausforderung an Politik und Gesellschaft.