Es ist bekannt, dass Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad oder Einkommen ein höheres Sterberisiko – und damit eine geringere Lebenserwartung haben als reichere oder besser gebildete. Einige Studien zeigen aber auch, dass diese sozialen Sterblichkeitsunterschiede mit dem Alter abnehmen. Dies wird häufig durch die so genannte „Age as leveler“ Hypothese erklärt: Körperliche Alterungsprozesse dominieren zunehmend, während soziale Einflüsse an Wirkung verlieren. Das Sterberisiko zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen gleicht sich infolgedessen umso stärker an, je älter die Menschen werden. Unsere Daten bestätigen diese Abnahme sozialer Sterblichkeitsunterschiede mit zunehmendem Alter. Die weiterführende Frage, die hier erstmals untersucht wird, ist jedoch, ob für diese Beobachtung wirklich das Alter verantwortlich ist oder vielmehr die Gesundheit. Zwischen diesen Faktoren besteht ein wesentlicher Unterschied: Das Alter steigt für jeden Menschen gleichmäßig an. Die Gesundheit aber variiert erheblich je nach sozialem Status.
Grundlage der empirischen Analyse sind Registerdaten aus Dänemark mit Informationen zur Gesundheit, Sterblichkeit und zum sozialen Status für die gesamte dänische Bevölkerung ab dem Alter von 59 Jahren. Der Gesundheitsstatus misst sich an der Zahl der Tage, die eine Person pro Jahr im Krankenhaus verbringt. Die Bevölkerung ist in sechs Einkommensgruppen eingeteilt; die Gruppe „0-10“ steht dabei für die ärmsten zehn Prozent (Abbildung). Sie dient zudem als Vergleichsgruppe: Ihr Sterberisiko liegt in allen Auswertungen bei 100 Prozent, das anderer Gehaltsgruppen berechnet sich jeweils relativ dazu.
Menschen mit höherem Einkommen haben nach unseren Ergebnissen eine deutlich geringere Sterblichkeit. So liegt das Sterberisiko der Bestverdiener in fast allen Vergleichen um 60 bis über 80 Prozentpunkte niedriger als jenes der ärmsten Gruppe. Insgesamt fällt auf, dass insbesondere die zwei Gruppen mit geringstem Verdienst – mit einem Bevölkerungsanteil von 25 Prozent – eine deutlich höhere Sterblichkeit aufweisen als die verbleibenden, eher einheitlichen 75 Prozent der Bevölkerung. In Dänemark haben also nicht wenige Reiche einen besonderen Vorteil, sondern eher wenige Arme einen Nachteil gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft.
Abb. 1: Relatives Sterberisiko dänischer Männer aus verschiedenen Einkommensgruppen, in Abhängigkeit vom Alter (A) oder Gesundheitszustand (B).
Wird in der Analyse der Gesundheitszustand über das Alter hinweg konstant gehalten, so gibt es mit zunehmenden Lebensjahren keine Angleichung des Sterberisikos zwischen Arm und Reich (Abbildung A). Das Bild ändert sich, wenn umgekehrt die Gesundheit variabel und das Alter konstant gehalten wird (Abbildung B):Vor allem bei gesunden Menschen, die wenige Tage pro Jahr im Krankenhaus verbringen, beeinflusst das Einkommen deutlich, wie groß ihr Sterberisiko ist. Je stärker die Gesundheit beeinträchtigt ist, umso stärker gleicht sich die Sterblichkeit an. Folglich ist es nicht das zunehmende Alter an sich, welches zur Abnahme der Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen sozialen Gruppen führt („Age as leveler“), sondern vielmehr die fortschreitend schlechtere Gesundheit („Illness as leveler“).
Unsere Ergebnisse zeigen die Gesundheit als den entscheidenden Faktor. Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Eine grundsätzliche Erklärung könnte sein, dass der Prozess der Gesundheitsverschlechterung zunehmend unabhängig von äußeren Faktoren wird, je weiter er fortgeschritten ist. Der soziale Status hätte bei kranken Menschen somit weit weniger Einfluss auf das Sterberisiko als bei gesunden. Ein höheres Einkommen kann also genutzt werden, um sich gute Lebensbedingungen und gesundheitsfördernde Maßnahmen zu leisten. Diese wirken aber am besten präventiv, das heißt, sie sollten vor einer Erkrankung die Gesundheit stärken. Der Vorteil eines höheren sozialen Status ist dagegen viel geringer, wenn er verwendet wird, um für einen bereits erkrankten Menschen teure Pflege oder spezielle medizinische Versorgung zu ermöglichen.
Aber auch das Gesundheitssystem könnte eine wichtige Rolle spielen. Denn bedingt durch Regeln der medizinischen Indikation sowie höhere Profitmöglichkeiten, die Leistungsanbietern im Krankheitsfall offen stehen, werden kostenintensive Behandlungen insbesondere am Lebensende eingesetzt, um den Tod zu verhindern. Als Folge ist die medizinische Versorgung erst für sehr kranke Menschen so umfassend, dass keine sozialen Unterschiede mehr beim weiteren Krankheitsverlauf bestehen.
Priorität des Gesundheitssystems sollte jedoch sein, Krankheiten möglichst im Vorfeld zu verhindern. Unsere Studie verdeutlicht dabei: Von mehr Investitionen im Bereich der Prävention wäre zudem die Angleichung sozialer Unterschiede in der Lebenserwartung zu erwarten.