Eine neue Studie des Rostocker Zentrums zur Erforschung des Demografischen Wandels* nimmt die Faktoren ins Visier, die sich auf die Lebensewartung auswirken. Männer leben in Deutschland durchschnittlich 77,0 Jahre, Frauen 82,3 Jahre (Tabelle 1). In allen Industrieländern leben Frauen länger als Männer. Die Lücke zwischen den Geschlechtern verengt sich in Deutschland allerdings, denn in den vergangenen acht Jahren ist die Lebenserwartung bei Männern mit 2,6 Jahren deutlicher gestiegen als bei Frauen, deren Lebenserwartung nur um 1,8 Jahre anstieg. Es sind die höheren Altersklassen, bei denen sich der Rückgang der Sterblichkeit manifestiert – bei Frauen ab dem Alter von 65 Jahren, bei Männern bereits 10 Jahre früher. In jungen Jahren ist das Potenzial für weitere Rückgänge in der Sterblichkeit minimal.
Tab. 1: Anstieg der Lebenserwartung in Deutschland von 1998 bis 2006 und der spezifische Beitrag der Altersgruppen in Jahren:
Doch gerade bei der ferneren Lebenserwartung von über 50-Jährigen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Fünfzigjährige haben bereits viel erlebt und Verhaltensweisen angenommen, die auf das Sterberisiko Einfluss nehmen: Die Lebensbedingungen oder die Familienform, der Bildungshintergrund oder die berufliche Qualifikation, das Einkommen oder der soziale Status, die körperlichen und psychischen Anforderungen des Alltags oder gesundheitsgefährdende Gewohnheiten sowie eine individuelle Krankheitsgeschichte. Wie viele Jahre jenseits der 50 noch zu erwarten sind, ist durch eine Reihe von Faktoren beeinflussbar, die ihrerseits wiederum aufeinander wirken können und im Zusammenspiel ein Risikoprofil der Sterblichkeit bestimmen.
Um die diversen Faktoren zu ergründen, die bei dem Einzelnen auf die Zahl der Lebensjahre Einfluss nehmen, wurden Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) sowie der amtlichen Statistik und Ergebnisse bestehende Studien analysiert. Die Daten des SOEP geben Auskunft über Alter, Geschlecht, Familienstand, Anzahl der im Haushalt lebenden Personen, Bildungsabschlüsse und ausgeübten Beruf. Der Literatur lassen sich darüber hinaus Informationen über chronische Erkrankungen und die Gesundheit beeinflussendes Verhalten entnehmen – allen voran über Tabak- und Alkoholkonsum. Außerdem fließen Angaben zur Anzahl eigener Kinder aus der Literatur in die Analyse ein. Die amtliche Statistik liefert Informationen zu den Bundesländern. In Verbindung mit der neusten Periodensterbetafel von 2006 wurden die Restlebenserwartungen für verschiedene Risikoprofile berechnet.
Vor dem Hintergrund der Frage „Welche Lebensbedingungen, Krankheitsmerkmale oder Verhaltenweisen kosten Lebensjahre?“ geht die Analyse von einer sogenannten Referenzperson mit definierten Merkmalen aus, deren Restlebenserwartung den Bezugspunkt für alle weiteren Vergleiche bildet. Das Risikoprofil der Referenzperson ist so gewählt, dass es die verbleibende Lebenserwartung im Alter 50 maximiert. Die männliche Referenzperson raucht nicht und trinkt mäßig Alkohol, lebt in Deutschland, ist verheiratet, hat Abitur und arbeitet in einem Angestelltenverhältnis. Die eigene Gesundheit schätzt dieser Standardmann gut bis sehr gut ein. Er lebt in einem Zweipersonenhaushalt, somit nich allein und hat weder Bluthochdruck noch Diabetes. Für die ebenfalls 50-jährige weibliche Referenzperson gilt zusätzlich zu diesen Merkmalen, dass sie ein bis zwei Kinder geboren hat.
Abb. 1: Unterschiede in der Restlebenserwartung der deutschen Frauen und Männer im Alter 50 im Vergleich zu einer Referenzperson (siehe Text)
Die Analyse zeigt, wie stark sich die Restlebenserwartung der Referenzperson verringert, wenn ein Merkmal des Risikoprofils verändert wird (Abbildung 1). Für Männer jenseits der Mitte des Lebens bedeutet ein schlechter Gesundheitszustand, dass sich die Restlebenserwartung deutlich senken kann: Bei Personen, die ihre Gesundheit als nicht zufrieden stellend bezeichnen, ist sie um 13,7 Jahre geringer als bei der gesunden Referenzperson, die Zuckerkrankheit kostet 12 und Bluthochdruck 2,1 zu erwartende Lebensjahre. Ebenso drückt starkes Rauchen massiv die Chance auf ein langes Leben: 9,6 Jahre werden an Lebenserwartung gegenüber dem Standardmann geopfert. Bei starkem Alkoholkonsum sind es 5,6 Jahre.
Arbeitslosigkeit bzw. niedrige Bildung schlagen mit jeweils 6 und 2,5 Jahren zu Buche. Das Alleinleben führt nach dieser Analyse zu einem Absenken der Lebenserwartung um gerade 0,5 Lebensjahre, die Scheidung von einer Partnerin hingegen um 4 Jahre. Dass es auch regionale Unterschiede gibt, zeigt der Vergleich von Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern: Versetzt man den Standardmann ins nordöstlichste Bundesland, reduziert sich die Lebenserwartung um 1,5 Jahre, im südwestlichsten Bundesland ergibt sich hingegen ein Vorteil von 1,7 zusätzlich zu erwartenden Lebensjahren.
Auch bei Frauen stellen die gesundheitliche Verfassung und gesundheitsschädigendes Verhalten die wesentlichen Faktoren, die Lebensjahre kosten: Ein selbst eingeschätzter schlechter Gesundheitszustand steht mit einer verringerten Restlebenserwartung von 11,2 Jahren in Verbindung, Diabetes kostet, ähnlich wie bei Männern, 10,7 Lebensjahre und Bluthochdruck 2,8 Jahre. Starker Alkohol- und Tabakkonsum wirkt sich bei Frauen drastischer als bei Männern aus: Die Lebenserwartung senkt sich bei starkem Rauchen um ganze 11,7 Jahre und bei hohem Alkoholkonsum um 6,9 Jahre.
Arbeitslosigkeit und ein niedriger Bildungsstand drücken auch bei Frauen die Restlebenserwartung um 5,4 beziehungsweise 3,5 Jahre. Im Vergleich zu Männern wirkt sich bei Frauen das Alleinleben positiv auf die Lebenserwartung aus: die Restlebenserwartung im Alter 50 erhöht sich um 1,5 Jahre. Kinderlos zu sein kostet im Schnitt 1,2 Lebensjahre, was auf das Fehlen sozialer und emotionaler Kontakte sowohl im mittleren als auch im hohen Alter, aber auch auf biologische Effekte zurückzuführen sein kann. Geschiedene Frauen haben eine deutlich herabgesetzte Lebenserwartung, nämlich um fast 3,1 Jahre. Das Bundesland, in dem Frauen leben, nimmt weniger Einfluss auf die Lebenserwartung von Älteren als bei Männern.
Das Sterberisiko im mittleren und hohen Alter wird durch den sozialen Status, durch Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Alkoholgenuss sowie durch klinische Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Diabetes beeinflusst, die ihrerseits auch von der Lebensweise befördert sein können. Die genannten Faktoren sind voneinander nicht unabhängig: So kann Bildung die Aufnahme von gesundheitsrelevanten Informationen unterstützen, Lebensstile verändern und damit in allen gesellschaftlichen Schichten den weiteren Anstieg der Lebenserwartung unterstützen. Bei sogenannten Risikogruppen können speziell zugeschnittene Gesundheitsprogramme mit vorbeugenden und behandelnden Elementen helfen, dass Ausmaß der Risikofaktoren zu mindern und damit das Sterberisiko zu senken.
Fehlernotiz: In einer ersten Version des Artikels (Ausgabe 3/2008) wurde durch die alleinige Verwendung des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) der Anstieg der Sterblichkeit mit dem Alter unterschätzt, was zu überhöhten Lebenserwartungen und Unterschieden in der Sterblichkeit führte. In dieser korrigierten Fassung wurden die Daten des SOEP mit den amtlichen Sterbedaten für 2006 abgeglichen.