In Deutschland haben 7,6 Prozent der über 64-Jährigen einen Migrationshintergrund und 40 Prozent unter ihnen sind Ausländer, haben also keine deutsche Staatsbürgerschaft. Lange konnte die Sterblichkeit von Ausländern nur mittels der Bevölkerungsstatistik des Statistischen Bundesamts geschätzt werden. Diese Schätzungen zeigten eine außergewöhnlich hohe Lebenserwartung der Ausländer. Sie überstieg sogar die Weltrekordwerte japanischer Frauen. Dieses Phänomen erklärte man damit, dass Immigranten im Durchschnitt zum Zeitpunkt der Einwanderung gesünder sind und dadurch länger leben als Einheimische, was als Healthy-Migrant-Effekt bekannt ist.
Die vorliegende Analyse unterstützt dieses Erklärungsmuster jedoch nicht, sondern sieht die Ursache für die angeblich niedrige Sterblichkeit der in Deutschland lebenden Ausländer vielmehr in statistischen Verzerrungen: In der amtlichen Statistik kann die Zahl der Ausländer überschätzt werden, da nicht jeder Fortzug eines Ausländers gemeldet wird – etwa wenn Ausländer in die Heimat zurückkehren und ihren Aufenthaltsstatus halten wollen. So entgehen der Statistik auch Todesfälle von ausländischen Bürgern, die von der Statistik unbemerkt in ihr Heimatland zurückgekehrt sind.
Um die hohe Lebenserwartung der in Deutschland lebenden Ausländer zu ergründen, nutzten wir eine zusätzliche Datenquelle: Erstmalig wurden zur Schätzung der Sterblichkeit Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) herangezogen. Diese liefern Informationen zu allen in Deutschland lebenden deutschen und ausländischen gesetzlichen Altersrentenbeziehern über 64 Jahre. In den vier untersuchten Jahren (1995, 1998, 2001 und 2004) fanden im Durchschnitt 130.000 Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit Eingang in die Analyse. Diese Datengrundlage unterscheidet sich von der amtlichen Statistik dadurch, dass Todesfälle in jedem Falle registriert werden.
Für die deutsche Bevölkerung ähneln sich die Sterbe- und Bevölkerungszahlen beider Datenquellen. Für Ausländer fallen sie dagegen sehr unterschiedlich aus: Die amtliche Statistik zählt 33 Prozent mehr Ausländer in der Bevölkerung und 33 Prozent weniger Sterbefälle unter Ausländern als die Datenquelle der DRV, was zu stark abweichenden Sterberaten zwischen Deutschen und Ausländern in der amtlichen Statistik führt (Abbildung 1).
Abb. 1: Sterberaten deutscher und ausländischer Personen im Alter 65 und älter (Quellen: Statistisches Bundesamt und DRV Rentenstatistik, SUFRTBNRTWF94-04TDemoKibele)
Die Rentendaten zeigen also, dass Ausländer gar nicht so lange leben wie zuvor geschätzt. Während laut amtlicher Statistik die fernere Lebenserwartung von Ausländern im Alter von 65 Jahren im Durchschnitt über den Beobachtungszeitraum hinweg bei 30,2 Jahren liegt, fällt sie laut Daten der DRV deutlich geringer aus. Sie beträgt lediglich 15 Jahre und liegt damit sogar unter der Lebenserwartung der Deutschen (15,6 Jahre).
Diese Zahlen zeigen: Bei der bislang beobachteten, extrem niedrigen Sterblichkeit von Ausländern im Rentenalter handelt es sich um ein statistisches Phänomen. Für die vergleichsweise höhere Sterblichkeit unter älteren Ausländern könnte es verschiedene Gründe geben: So übernehmen Immigranten oft den weniger gesunden westlichen Lebensstil, der insbesondere das Risiko für Herz-Kreislaufkrankheiten erhöht und eine Gesundheitsverschlechterung mit dem Alter herbeiführen kann. Zudem können Entbehrungen in der Kindheit die Gesundheit nachhaltig beeinflussen.
Der wichtigste Faktor aber ist, dass viele Ausländer einen niedrigen sozioökonomischen Status haben: Ihr Einkommen ist gering, ihre Bildungschancen eingeschränkt und der tägliche Stress groß. Das hat negative Folgen für die Gesundheit. Frühere Studien zeigen, dass ein großer Teil der in Deutschland lebenden Ausländer zu der Gruppe der Geringverdiener gehört. Diese weisen ein viel höheres Sterberisiko auf als Menschen mit höherem Einkommen. Gleichzeitig blicken viele auf ein körperlich stark beanspruchen- des Arbeitsleben zurück – ebenfalls mit der Folge eines höheren Sterberisikos.
Ein Healthy-Migrant-Effekt, also der Umstand, dass Immigranten bei der Einwanderung im Durchschnitt eine bessere Gesundheit aufweisen können als Einheimische, ist damit nicht ausgeschlossen. Langzeitwirkungen dieses Effekts sind aber eher unwahrscheinlich. Vielmehr scheint ein möglicher gesundheitlicher Vorteil nach der Immigration insbesondere durch sozioökonomische Nachteile und ungünstigere Lebensumstände, denen die Immigranten im Gastland ausgesetzt sind, nach und nach aufgebraucht zu werden.