Vienna Institute of Demography

Erhöht Zuwanderung die Geburtenraten in Europa?

2008 | Jahrgang 5 | 4. Quartal

Keywords: Europa, Fertilität, Migration

Tomásˇ Sobotka

Um die Bedeutung der Zuwanderung für das Geburtenverhalten in Europa zu erfassen, werden die Beiträge von Zuwanderern zu den Geburtentrends untersucht: Erstens wird der Anteil der Geburten von Migrantinnen im jeweiligen Land ermittelt, zweitens der Unterschied zwischen den Geburtenraten von zugewanderten und ‚einheimischen' Frauen sowie drittens der ‚Netto'-Beitrag von Zuwanderern auf die Geburtenrate gemessen als zusammengefasste Geburtenziffer (TFR). 

Abb. 1: Anteil der Geburten von Zuwanderinnen und Frauen ausländischer Staatsangehörigkeit in ausgewählten europäischen Ländern, 1996 und 2006 im Vergleich. I: Daten für alle Zuwanderinnen einschließlich der Eingebürgerten, A: Daten ausschließlich für Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Letzteres unterschätzt den tatsächlichen Anteil der Geburten von Immigrantinnen. Quellen: Statistische Ämter der jeweiligen
Länder.

Der Anteil der Kinder, die von zugewanderten Müttern geboren wurden, nahm in den meisten untersuchten Ländern von 1996 bis 2006 zu (Abbildung 1). Dies gilt in jüngster Zeit vor allem für Südeuropa, wo die Anteile der Geburten von Zugewanderten und Ausländern steil angestiegen sind, etwa in Spanien von drei auf 17 Prozent und in Italien von zwei auf 13 Prozent. In Ländern mit einer längeren Zuwanderungsgeschichte wie in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden war dieser Trend weniger ausgeprägt. Für Deutschland und Österreich gelten zudem hohe Einbürgerungsraten für Zuwanderer, die Statistik erfasst jedoch nur ausländische Frauen. So wird die Gesamtzahl der Geburten unter Zugewanderten unterschätzt, und die Daten müssen mit Vorsicht interpretiert werden. In einigen Ländern wie im Vereinigten Königreich oder in Schweden (nicht in Abbildung 1) wurden mehr als ein Fünftel der Kinder von Immigrantinnen geboren. 

Dieser relativ große Einfluss des Geburtenverhaltens von Zuwanderinnen auf die Zahl der Geburten übertrifft üblicherweise ihren Anteil in der Bevölkerung und ist der jungen Altersstruktur der Zuwanderinnen und ihrer höheren Fertilität zuzuschreiben. Zwar überschätzt die TFR die tatsächliche Zahl der im Laufe eines Lebens geborenen Kinder von Zuwanderinnen, da gerade in den Jahren unmittelbar nach der Migration mehr Kinder geboren werden. Dennoch illustriert sie allgemeine Unterschiede im Geburtenniveau zwischen ‚Einheimischen' und Zugewanderten. In fast allen Ländern, in denen die Datenlage Analysen zuließ, übertraf die zusammengefasste Geburtenziffer der Migrantinnen die der einheimischen Frauen – in Schweden erreichte sie gar Werte von durchschnittlich 2,6 pro Zuwanderin (Tabelle 1). Allerdings nähern sich die Geburtenraten der beiden Gruppen seit einigen Jahrzehnten in den meisten Ländern allmählich an. Außerdem unterscheiden sich die Zuwanderinnen hinsichtlich ihres Geburtenverhaltens je nach Herkunftsland. Immigrantinnen aus Entwicklungsländern stehen nicht notwendigerweise für hohe Geburtenraten. So zeichnen sich Frauen aus Somalia normalerweise durch hohe Geburtenraten aus, Iranerinnen jedoch häufig durch besonders niedrige. 

Tab. 1: Zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) für einheimische Frauen und Zuwanderinnen sowie der Nettobeitrag der Zuwanderinnen zur zusammengefassten Geburtenziffer in vier europäischen Ländern, für die Daten für alle zugewanderten Frauen vorliegen. Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Daten der betreffenden Statistischen Ämter.

Der Beitrag, den Zuwanderinnen zur zusammengefassten Geburtenziffer eines Landes leisten, ergibt sich aus der Differenz zwischen den Werten für das ganze Land und den Werten für die einheimischen Frauen. Dieser Nettobeitrag ist vergleichsweise klein, aber nicht vernachlässigbar: In sieben Ländern erhöhte das Geburtenverhalten der Zuwanderinnen die zusammengefasste Geburtenziffer um 0,06 bis 0,12, also um drei bis acht Prozent. Dieser Beitrag ist zu klein, als dass die Anstiege der zusammengefassten Geburtenziffer, die es in einigen Teilen Europas in den vergangenen Jahren gab, ausschließlich mit der höheren Fertilität der Zugewanderten erklärt werden könnten. Gleichzeitig ist der Beitrag zur Gesamtzahl der Geburten aber groß genug, um einen vergleichsweise nachhaltigen Einfluss auf die Altersstruktur und die Bevölkerungsgröße in den Ländern der Europäischen Union zu erzielen.

Literatur

  • Sobotka, T.: Overview chapter 7: The rising importance of migrants for childbearing in Europe. Demographic Research 19(2008)9: 225-248. Demographic Research Special Collection 7 "Childbearing trends and policies in Europe".

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2008/4

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