Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Bereits 1,2 Millionen Demenzerkrankte in Deutschland

2008 | Jahrgang 5 | 4. Quartal

Keywords: Deutschland, Demenz, Prävalenz, Inzidenz

Uta Ziegler und Gabriele Doblhammer

Unser Gesundheitssystem wird sich mit dem steigenden Anteil Älterer in der Gesellschaft auf mehr Menschen einrichten müssen, die an Demenz erkranken und infolgedessen besondere Pflege benötigen. Doch der Diskussion um Ausmaß und Folgen fehlen häufig einheitliche Zahlen: Zum einen verbergen sich hinter dem Begriff Demenz verschiedene Krankheiten. Fast drei Viertel aller Demenzpatienten leidet unter der Alzheimer Krankheit, etwa ein Viertel unter einer so genannten vaskulären Demenz. Seltenere Formen sind beispielsweise Morbus Pick, Morbus Binswanger und Demenz bei Parkinson. Häufig treten zudem Mischformen auf. Zum anderen wird eine frühzeitige Diagnose dadurch erschwert, dass die Krankheit im Anfangsstadium nur schwer von den Folgen normaler kognitiver Alterung unterscheidbar ist. Überhaupt entstand das Bewusstsein, Demenz als Krankheit zu sehen, erst langsam. So könnte sich die Anzahl der Diagnosen in den vergangenen Jahren allein durch die Tatsache erhöht haben, dass Degenerationen als Demenz erkannt und nicht mehr als generelle Alterserscheinung hingenommen wurden. 

Um die Zahl der Demenzpatienten genau erfassen zu können, wurde in der Vergangenheit verstärkt an der Einführung einheitlicher Kategorien gearbeitet. So entwickelte die Weltgesundheitsorganisation beispielsweise die „Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“, die auch der Klassifizierung von Krankheiten im deutschen Gesundheitssystem zugrunde liegt. 

Für unsere Studie konnten wir einen einzigartigen, repräsentativen Datensatz aller gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2002 nutzen, der ermöglicht, Demenzdiagnosen und ihr Vorkommen nach Alter und Geschlecht zu untersuchen. Unter der Annahme, dass die Häufigkeit der Krankheit über fünf Jahre gleich geblieben ist, berechneten wir zusätzlich für die Bevölkerung von 2007, wie viele Menschen insgesamt an Demenz erkrankt waren. Dies ist die erste Studie in Deutschland, die Zahlen zum Anteil der Demenzerkrankten in den einzelnen Altersgruppen auf der Basis eines Datensatzes für Gesamtdeutschland berechnet. 

Abb. 1: Prozentuale Verteilung der Demenzpatienten in Deutschland im Jahr 2002 nach Alter und Geschlecht sowie geschätzte Anzahl Betroffener für die Bevölkerung 2007.

Abbildung 1 (linke Achse, Linien) zeigt, dass das Risiko eine Demenz zu entwickeln mit dem Alter stark ansteigt. Von den 60- bis 64-Jährigen leiden weniger als ein Prozent an der Krankheit, im Alter 80 bis 84 sind es schon mehr als zehn Prozent und bei den über 100-Jährigen mehr als jeder Dritte. Es wird zudem deutlich, dass ab dem Alter 75 Frauen häufiger von Demenz betroffen sind als gleichaltrige Männer. Unterscheidet man zusätzlich zwischen West- und Ostdeutschland (ohne Abbildung), finden wir ab dem Alter 80 ein etwas höheres Risiko in Ostdeutschland. 

Bei der errechneten Anzahl demenzkranker Frauen und Männer für 2007 (Abbildung 1, rechte Achse, Balken) fällt einerseits ein starker Anstieg bis zum Alter 80 bis 84 auf und andererseits, dass viel mehr Frauen betroffen sind. Das liegt nicht nur an der höheren Wahrscheinlichkeit der Frauen, an einer Demenz zu erkranken, sondern vor allem an der insgesamt viel höheren Anzahl älterer Frauen. Dies wird besonders ab dem Alter 75 deutlich, in dem 66 Prozent aller Personen Frauen und nur 35 Prozent Männer sind. Insgesamt leiden in Deutschland im Jahr 2007 etwa 1,2 Millionen Menschen an einer mittelschweren bis schweren Demenz, darunter 800.000 Frauen und 390.000 Männer. Bezieht man milde Formen der Krankheit mit ein, liegt diese Zahl sogar etwas höher. 

Gegenwärtig gibt es kein Heilmittel gegen eine Demenz, die Krankheit lässt sich maximal ein paar Monate zurückdrängen. In den vergangenen Jahren war die Krankheit jedoch Gegenstand intensiver Forschung. Viel versprechende Medikamente und Impfungen, die unterschiedliche Bekämpfungsstrategien verfolgen, sind in der Erprobungsphase. Ein gesunder Lebensstil mit gesunder Ernährung, ausreichend Bewegung und geistigem Engagement, bessere Medikamente und weitere medizinische Fortschritte können zukünftig dazu beitragen, dass der Anstieg der Zahl dementer Personen nicht parallel mit dem Anstieg der Gesamtzahl älterer Personen einhergeht.

Literatur

  • Ziegler, U. und G. Doblhammer: Prävalenz und Inzidenz von Demenz in Deutschland: Eine Studie auf Basis von Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen von 2002. Das Gesundheitswesen / [im Erscheinen].

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2008/4

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