Vienna Institute of Demography

Wachstum der Weltbevölkerung: Bildung der Frauen entscheidend

2011 | Jahrgang 8 | 4. Quartal

Keywords: Bevölkerungswachstum, Bildung der Frauen, Geburtenraten, Demografischer Übergang, Bildungspolitik

Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Wolfgang Lutz

Die Prognoseergebnisse für verschiedene mögliche Bildungsszenarien unterschieden sich damit um mehr als die heutige Einwohnerzahl ganz Afrikas oder um dreimal so viel wie die der USA, schreiben Wolfgang Lutz vom Vienna Institute of Demography und Samir KC vom International Institute for Applied System Analysis in einer aktuellen Veröffentlichung im Wissenschaftsjournal Science. 

Abb. 1: Prognose der Weltbevölkerung nach höchstem Bildungsabschluss für verschiedene Ausbildungsszenarien (Erklärung siehe Haupttext): GET – Global Education Trend, CER – Constant Enrolement Rate, CEN – Constant Enrolement Numbers, FT – Fast Track (Quelle für Basisjahr 2000: Vereinte Nationen).

Die Forscher hatten die Weltbevölkerung für vier Bildungsvarianten bis zum Jahr 2050 vorausberechnet (siehe Abb. 1): Im ambitioniertesten, dem sogenannten FT-Szenario (Fast Track) nahmen sie an, dass alle Länder ihre Schulsysteme so rapide ausbauen wie zuletzt die am meisten fortgeschrittenen Regionen der Welt. Diese Version führt zu 8885 Millionen Menschen im Jahr 2050, nur etwas weniger als das moderater optimistische GET-Szenario (Global Education Trend) mit einem Ergebnis von 8954. In der GET-Version bauen die Länder ihr Schulsystem so stark aus wie bereits etwas weiter fortgeschrittene Nationen vor ihnen. 

Weit mehr Menschen ergeben die pessimistischeren Szenarien CER und CEN (9728 und 9977 Millionen): In der CER-Variante (Constant Enrolement Rate) wird der Anteil der Kinder in den verschiedenen Schulstufen ohne Steigerung als konstant angenommen, im CEN-Szanerio (Constant Enrolement Numbers) lediglich noch die absolute Zahl der Schüler. Es würden also trotz wachsender Bevölkerung keine neuen Schulen gebaut. 

Der Bildungseffekt auf das Bevölkerungswachstum ist besonders stark in weniger entwickelten Ländern, in denen die Zahl der Kinder pro Frau noch wesentlich höher ist als in den modernen Industrienationen. Diese haben den sogenannten demografischen Übergang, in dessen Verlauf die Sterbe- und Geburtenraten rapide fallen, bereits hinter sich und die Frauen bekommen dort heute durchschnittlich meist weniger als zwei Kinder. 

Abb. 2: Geburtenraten nach höchstem Bildungsabschluss der Frauen für ausgewählte Länder; in Klammern: Erhebungsperiode (Quelle: Demographic and Health Surveys, www.measuredhs.com). 

Wie sehr die Geburtenrate mit der Bildung der Frauen variieren kann, zeigt das Beispiel Äthiopiens, das noch am Beginn seines demografi schen Übergangs steht (siehe Abb. 2): Äthiopierinnen, die nie eine Schule besucht haben, bekamen im Jahr 2005 durchschnittlich 6,1 Kinder. Haben sie eine höhere Schulbildung, sinkt die Ziffer auf 5,1. Deutliche Unterschiede gibt es auch im bereits weiter entwickelten Bevölkerungsgiganten Indien: Die Geburtenrate für Frauen ohne Schulausbildung liegt bei etwa 3,6, für Inderinnen mit höherer Ausbildung aber nur noch bei 2,1. 

Dass gebildetere Frauen weniger Kinder bekommen, hat mehrere Gründe: Sie sehen ihre Kinderzahl weniger als schicksalhaft gegeben an und wünschen sich von vornherein weniger Nachwuchs als schlechter gebildete Frauen, denn sie bewerten die Lebensqualität der Kinder, wie etwa ausreichende Ernährung und medizinische Versorgung, höher als ihre Anzahl. Zudem wissen sie besser über Verhütungsmethoden Bescheid. Mit der Bildung steigen außerdem die sogenannten Opportunitätskosten des Kinderkriegens: Mit besserer Ausbildung nutzen Frauen zunehmend mehr Optionen, ihr Leben jenseits der Mutterschaft zu gestalten, etwa indem sie selbst Geld für die Familie verdienen.

Höhere Bildung führt nicht nur zu niedrigeren Geburtenraten, sondern auch zu geringerer Sterblichkeit, besserer Gesundheit und einem veränderten Migrationsverhalten. Während all diese Effekte relevant für die Entwicklung der künftigen Demografie sind, ist die Auswirkung der Geburtenraten auf das Bevölkerungswachstum bei Weitem am stärksten. Die Demografen aus Österreich erweiterten darum das Standard-Prognosemodell um den Einfluss der Bildung: Ihre sogenannte Multi-State Methode berücksichtigt für jeden Bevölkerungsjahrgang den höchsten im Leben erreichten Bildungsstand, und legt den Vorausberechnungen die bildungsabhängigen Geburtenraten der Frauen zugrunde. 

Abb. 3: Veränderung der Bevölkerungsstruktur Chinas nach Alter und höchstem Bildungsabschluss. Prognose für 2030 nach Fast Track-Szenario mit rapider Bildungsexpansion.

Im Ergebnis lässt sich aus solchen Projektionen nicht nur die Alters-, sondern auch die künftige Bildungsstruktur der Bevölkerung ablesen. Wie stark sie sich verändern kann, zeigt China (siehe Abb. 3). Die Volksrepublik ist nicht nur das größte Land der Welt, sondern hat in den letzten Jahrzehnten auch eine rasante Bildungsexpansion erlebt. Wie die Bevölkerungspyramide des Jahres 2000 zeigt, sind die jungen Chinesen schon heute wesentlich besser ausgebildet als ihre Eltern: Während unter den 50 bis 54 Jahre alten Frauen 22 Prozent gar keine Schulausbildung hatten, lag der Anteil unter den 20 bis 24-Jährigen nur noch bei knapp drei Prozent. 2030 gibt es in der gleichen Altersgruppe quasi keine Chinesen ohne Schulausbildung mehr. Stattdessen wird über die Hälfte (57 Prozent) sogar bereits einen Hochschulabschluss haben. Unter den im Jahr 2000 20 bis 24-Jährigen erreichten dies nur acht Prozent. 

Investitionen in die Bildung der Frauen gelten inzwischen als effektiver Weg, um das Bevölkerungswachstum der Welt einzuschränken. Auch deshalb hat Bildungspolitik neben klassischen Programmen zur Familienplanung in weniger entwickelten Ländern höchste Dringlichkeit. Dabei zeigt ein Blick auf die Eigendynamik , mit der sich die Bevölkerungsstruktur verändert (Abb. 3), dass die künftige Ausbildung der Mütter und damit auch ihr Einfluss auf das Bevölkerungswachstum bereits heute durch Schul- und Bildungspolitik festgelegt wird.

Literatur

  • Lutz, W. and K.C. Samir: Global human capital: integrating education and population. Science 333(2011)6042: 587-592.

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2011/4

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