Wenn eine Geburtenrate sinkt, kann das unterschiedliche Auslöser haben: Es gibt mehr Frauen, die gar keine Kinder bekommen, die nur eines anstatt zwei bekommen, oder die nur zwei anstatt drei bekommen – und so weiter. Wichtig ist die Antwort auf diese Frage vor allem deshalb, weil die Erklärung für den Geburtenrückgang von ihr abhängt. So steht eine kinderlose Frau vor der generellen Frage, ob sie ihre beruflichen Ziele, ihren Lebensstandard, ihre individuellen Bedürfnisse für ein Kind gegebenenfalls verändern oder aufschieben möchte. Für eine Frau, die bereits Mutter von zwei Kindern ist und ihren Lebensstil darauf eingestellt hat, ist dagegen vielleicht eher entscheidend, welches Image von kinderreichen Familien in der Gesellschaft existiert.
Abb. 1: Welche Kinder fehlen? Frauen, die zwischen 1933 und 1968 geboren sind, bekommen im Schnitt immer weniger Kinder als der jeweils vorherige Geburtenjahrgang. Im Vergleich zum Geburtsjahrgang 1933 bringen jüngere Frauen vor allem seltener drei oder mehr Kinder zur Welt. Der Interaktionseffekt deckt den Bereich ab, in dem sich die Effekte von Kinderlosigkeit und Kinderreichtum überschneiden. Quelle: Mikrozensus 2008, 2012, eigene Berechnungen
Sowohl die Forschung als auch die öffentliche Debatte und familienpolitische Ansätze haben sich trotz der unübersichtlichen Datenlage bisher vor allem auf die Zunahme der Kinderlosigkeit in Deutschland konzentriert. Martin Bujard und Harun Sulak vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden zeigen in ihrer Studie nun, dass die Kinderlosigkeit indes nur einen geringen Teil des Rückgangs erklären kann. Viel entscheidender für die sinkende Geburtenrate war die schrumpfende Zahl kinderreicher Familien (s. Abb. 1). Sie erklärt mehr als zwei Drittel des Rückgangs, während die Kinderlosigkeit nur für 26 Prozent ursächlich ist. Der Anteil von Frauen mit einem Kind blieb über den gesamten Zeitraum relativ stabil.
Ein genauer Blick auf die Analyse zeigt aber auch: Die Fokussierung auf die Kinderlosigkeit war nicht vollkommen grundlos. Denn in dem kontinuierlichen Geburtenrückgang lassen sich sehr deutlich zwei verschiedene Phasen ausmachen: Während bei den Frauen der Jahrgänge 1933 bis 1947 die Abnahme des Kinderreichtums entscheidend war, ist bei den Jahrgängen von 1948 bis 1968 die zunehmende Kinderlosigkeit der wichtigste Faktor (s. Abb. 2).
Abb. 2: Ab dem Geburtsjahrgang 1947 bleibt der Anteil der Mütter mit drei und mehr Kindern relativ konstant. Nun nimmt der Anteil der kinderlosen Frauen erheblich zu. Quelle: Mikrozensus 2008 und 2012, eigene Berechnungen
Bujard und Sulak zeigen dies anhand der so genannten kohortenspezifischen Geburtenziffern. Dieser gibt an, wie viele Kinder Frauen eines bestimmten Geburtenjahrganges bekommen haben. So brachten etwa Frauen, die 1933 geboren wurden, im Durchschnitt mehr als 2,2 Kinder zur Welt. Beim Geburtsjahrgang 1968 wurden dagegen pro Frau nicht einmal mehr 1,5 Kinder geboren. Diese Jahrgänge bilden den Anfangs- und Endpunkt des kontinuierlichen Geburtenrückganges und eignen sich daher auch für die Eingrenzung des Untersuchungszeitraumes.
Neben der genauen Auswahl des Zeitraumes ist auch die Qualität der Daten für das Ergebnis entscheidend. Hier greifen Bujard und Sulak auf die Mikrozensen 2008 und 2012 zurück, in denen die Zahl der geborenen Kinder von Frauen erfasst wird. Darüber hinaus entwickeln sie eine neue Berechnungsmethode mit der sie bestimmen, in welchem Anteil kinderlose und kinderreiche Frauen für den Geburtenrückgang verantwortlich waren. Ist es das erste, zweite, dritte Kind, das im Vergleich zu vorherigen Jahrgängen besonders häufig fehlt?
Mit dieser Analyse ergibt sich die Möglichkeit, die Gründe für den Geburtenrückgang noch genauer zu untersuchen. Denn die meisten Theorien, so betonen die beiden Autoren, erklärten nur die Zunahme der Kinderlosigkeit, wenige widmen sich der Abnahme des Kinderreichtums, und noch weniger könnten beides erklären. Es wäre daher ratsam, unterschiedliche Erklärungen für die Phänomene Kinderlosigkeit und Kinderreichtum zu entwickeln. Vor allem müsste dem Rückgang des Kinderreichtums mehr Beachtung geschenkt werden. Hier, so die Autoren, sei das Wissen noch sehr bruchstückhaft. Eine starke Debatte über die Überbevölkerung in den 1960er Jahren, eine Stigmatisierung von kinderreichen Familien und die Etablierung einer 2-Kinder-Norm, führen die Autoren als mögliche Ursachen an.