Sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene wird diskutiert, welche familienpolitischen Maßnahmen notwendig wären, um einen Geburtenanstieg in Europa zu bewirken. Dass sich junge Paare grundsätzlich Nachwuchs wünschen, wird in dieser Debatte meist vorausgesetzt.
Jüngste Erhebungen jedoch verkomplizieren das Bild, denn sie deuten einen Wandel beim Kinderwunsch in Europa an. So zeigte die Eurobarometer-Umfrage 2001, dass die persönlich als ideal angesehene Kinderzahl in einigen Ländern insbesondere bei jüngeren Frauen auf deutlich unter zwei Kinder gesunken ist. Da Frauen in Industrieländern selten mehr Kinder zur Welt bringen als sie sich wünschen, kann ein abnehmender Kinderwunsch ein weiteres Absinken der Geburtenraten bedeuten (vgl. Demografische Forschung aus Erster Hand 2/2004 & 2/2005).
Von großem Interesse ist daher die Frage, wie sich der Kinderwunsch entwickelt. Die Umfrage des Eurobarometers 2006 ermöglicht nun, Veränderungen in den persönlichen Einstellungen junger Menschen von 2001 bis 2006 in den EU-15-Staaten direkt zu messen.
Zwei gegenläufige Trends beim Kinderwunsch sind auffällig (Abbildung 1). In vielen Ländern, die 2001 relativ hohe Werte für die ideale Kinderzahl aufwiesen, stabilisierten sich diese oder stiegen bis 2006 sogar leicht an. Es betrifft zumeist Staaten, die eine Geburtenrate auf höherem Niveau aufweisen (etwa Frankreich, Großbritannien oder in Skandinavien). Im Gegensatz dazu stehen einige Länder mit sehr niedrigen Geburtenraten und eher abnehmendem Kinderwunsch. So bildet 2006 Österreich – eines der ersten Länder europaweit, das Anfang der 1970er Jahre den Geburtenrückgang unter die Schwelle der Generationenerneuerung von 2.1 Kindern pro Frau erlebte – beim Kinderwunsch das Schlusslicht unter den EU-15-Staaten: Im Zeitraum zwischen den zwei Umfragen ging die durchschnittlich als ideal angesehene Familiengröße bei 25 bis 39-jährigen Frauen von 1,75 auf 1,69 Kinder zurück.
Diese Ergebnisse bekräftigen die Annahme, dass junge Menschen, die im Kontext niedriger Fertilität aufwachsen, selbst einen geringeren Kinderwunsch entwickeln. Eine solche Dynamik kann zu immer weiter sinkenden Geburtenzahlen in den Ländern Europas führen, die bereits jetzt sehr niedrige Fertilität aufweisen.
Die Hypothese, dass Menschen sich an weniger Kinder gewöhnen und ihre Lebensplanung danach ausrichten, lässt sich anhand der Daten des Eurobarometers weiter überprüfen. So ist nach dem deutschsprachigen Raum auch für viele der Mittelmeerländer mit einer Abnahme der idealen Kinderzahl zu rechnen. In diesen Ländern setzte ein deutlicher Geburtenrückgang um einige Jahre verzögert ein. Den Erwartungen entsprechend, zeigten die Werte für Italien und Spanien zwischen 2001 und 2006 eine rückläufige Tendenz (Abbildung 1).
Abb. 1: Persönliche ideale Kinderzahl, Eurobarometer 2001 und 2006, für sechs ausgewählte Länder, Frauen im Alter von 25-39.
Zukünftige Kandidaten für eine solche Abwärtsentwicklung sind die ehemals sozialistischen EU Länder, deren Geburtenraten erst nach 1990 stark abnahmen. Eurobarometer-Umfragen in den kommenden Jahren werden zeigen, ob die Kinderzahlideale auch in diesen Ländern abnehmen werden. Bestätigt sich der enge Zusammenhang zwischen der Anzahl tatsächlich geborener und gewünschter Kinder, könnte Europa vor einer divergierenden Geburtenentwicklung stehen. Es würde sich die Schere zwischen zwei Ländergruppen öffnen: Einerseits den Staaten mit einer relativ stabilen und nicht weit unter dem Bestanderhaltungsniveau liegenden Fertilität und andererseits jenen, in denen eine sehr niedrige Geburtenrate zu einem Sinken des Kinderwunsches in der nächsten Generation und folgend zu noch geringerer Fertilität führt.
Für die Politik würde es eine besonders große Herausforderung darstellen, angesichts einer solchen Abwärtsdynamik eine Trendumkehr im Geburtenverhalten zu schaffen. Inwieweit der zwischen 2001 und 2006 beobachtete deutliche Anstieg des deutschen Kinderwunsches (ohne Abbildung) da als Lichtblick zu sehen ist, bleibt abzuwarten. Vor allem Änderungen im Erhebungsmodus könnten dafür verantwortlich sein, dass die Daten für Deutschland nur begrenzt vergleichbar sind. Sollte sich der höhere Kinderwunsch in zukünftigen Studien jedoch bestätigen, bliebe die Frage nach den Ursachen dieser geänderten Einstellung: Es könnte eine Folge der breiten und teilweise auch emotional aufgeladenen öffentlichen Diskussion sein, die jüngst in Deutschland über das Verhältnis der Deutschen zu Kindern und die Gründe hoher Kinderlosigkeit geführt wurde.