Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Langes Leben und schlechteres Befinden – ein Paradox?

2009 | Jahrgang 6 | 2. Quartal

Keywords: Geschlecht, Deutschland, Gesundheitseinschränkungen, Mortalität, Projekte

Gabriele Doblhammer

Ein Großteil der bisherigen Studien zu Gesundheit und Sterblichkeit betrachtet entweder den Prozentsatz einer Erkrankung in einer Bevölkerung (Prävalenz) oder den Eintritt in eine Erkrankung (Inzidenz). Dabei wird übersehen, dass es im Zeitverlauf sowohl Verschlechterungen als auch Verbesserungen im Gesundheitszustand einer Person geben kann. Eine neue Studie des Rostocker Zentrums zur Erforschung des Demografischen Wandels untersucht individuelle Gesundheitsverläufe von Männern und Frauen, um Aufschluss über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Sterblichkeit und Gesundheit zu gewinnen. Wichtig ist dabei die gemeinsame Analyse von individuellen Gesundheitsverläufen und Sterblichkeit. Da sich die Sterblichkeit der beiden Geschlechter unterscheidet, würde die Vernachlässigung der Sterblichkeit in einer Analyse von Gesundheitsverläufen zu statistischen Verzerrungen führen.

Abb. 1: Gesundheitsverläufe und prozentuelle Häufigkeit unter den Überlebenden der 7-Jahres Periode 1995 bis 2001 bei Berücksichtigung von Sterblichkeit und Panelausfällen. Im Alter 50+ erleben 18 Prozent der Männer, jedoch nur 12 Prozent der Frauen einen stabilen Gesundheitsverlauf ohne Beeinträchtigungen. Hingegen erfahren weniger Männer (13 Prozent) als Frauen (15 Prozent) eine Verschlechterung der Gesundheit. Quelle: SOEP 1995–2001 (eigene Berechnungen).

Auf der Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) wurden über den Zeitraum 1995 bis 2001 typische Gesundheitsverläufe von Männern und Frauen im Alter von 50 Jahren und älter unterschieden (Abbildung 1). Gesundheit wurde dabei mit Hilfe einer allgemeinen Frage zu Beeinträchtigungen in den Verrichtungen des täglichen Lebens gemessen, wobei die drei Antwortmöglichkeiten „keine“, „moderate“ und „schwere“ Beeinträchtigung vorgegeben waren. Im Beobachtungszeitraum starben in allen Altersgruppen 14 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen, während 71 Prozent der Männer und 69 Prozent der Frauen den gesamten Studienzeitraum überlebten (15 Prozent der Männer und 19 Prozent der Frauen wanderten aus der Studie innerhalb des Erhebungszeitraumes ab).

Unter den überlebenden Personen fand sich am häufigsten der Pfad stabiler Gesundheit ohne Beeinträchtigung. Dies ist auch gleichzeitig jener Gesundheitsverlauf mit dem größten Unterschied zwischen den Geschlechtern: 18 Prozent der Männer, jedoch nur 12 Prozent der Frauen folgten diesem Verlauf. Unterteilt nach einzelnen Altersgruppen ergibt sich ein stärker differenziertes Bild: Im Alter von 50 bis 59 Jahren, in dem die Sterblichkeit für beide Geschlechter noch niedrig ist, berichtet ein größerer Teil der Männer stabile Gesundheitsverläufe ohne Beeinträchtigung, während Frauen vermehrt eine sich verschlechternde Gesundheit angeben (dies ist in Abbildung 1 der Pfad „Verschlechterung”: Männer 13 Prozent und Frauen 15 Prozent). 

Im Alter von 60 Jahren und höher, in dem die Sterblichkeit zunimmt, berichten Frauen von sich verschlechternder Gesundheit, während Männer sterben. Überlebende Männer folgen dabei aber generell positiveren Gesundheitsverläufen als überlebende Frauen. 

Betrachtet man das Sterberisiko in den Jahren von 2002 bis 2005 in Abhängigkeit von der individuellen Gesundheitsentwicklung in den Jahren von 1995 bis 2001, so führt sowohl für Männer als auch für Frauen der Pfad „schwere Beeinträchtigung, stabil“ am häufigsten zum Tod. Im Gegensatz zu der eingangs formulierten Hypothese finden sich die größten Unterschiede in der Sterblichkeit der beiden Geschlechter nach sich verschlechternden Gesundheitsverläufen (dies ist der Pfad „Verschlechterung“). Frauen verbleiben in schlechtem Gesundheitszustand, während Männer sterben. 

Die Ursache mag im biologischen Bereich liegen, aber auch Geschlechterunterschiede im Krankheitsspektrum und im Lebensstil werden oft als Erklärung herangezogen. Hinzu kommen ein anderes Körperverständnis von Frauen und Männern und damit einhergehend ein unterschiedliches Antwortverhalten in Studien, wobei Frauen eher einen schlechten Gesundheitszustand angeben als Männer. Diese Studie zeigt, dass der Unterschied in der Gesundheit der beiden Geschlechter vor allem durch deren unterschiedliche Sterblichkeit entsteht und dass der Sterblichkeitsvorteil von Frauen auch bei schlechter Gesundheit bestehen bleibt, sogar zunimmt.

Literatur

  • Doblhammer, G., and R. Hoffmann: Gender differences in trajectories of health limitations and subsequent mortality: a study based on the German Socioeconomic Panel 1995-2001; with a mortality follow-up 2002-2005. Journals of Gerontology: Series B, Psychological Sciences and Social Sciences Advance Access published on June 29, 2009.
    DOI: 10.1093/geronb/gbp051

Aus Ausgabe 2009/2

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