Wie in vielen anderen westlichen Ländern auch, hat sich die Familie in Frankreich verändert: Eheschließungen gehen zurück, Scheidungsraten steigen moderat, und die Geburtenrate ist zwar höher als in den meisten anderen Industrienationen, aber trotzdem unter dem Bestandserhaltungsniveau. Mit Hilfe von Daten zur Familiengeschichte von über 170.000 Französinnen (EHF: Etude de l’Histoire familiale, 1999) untersuchten Wissenschaftlerinnen des Vienna Institute of Demography nun ganz genau, wie sich die Stabilität von Lebensgemeinschaften auf die Geburtenrate bei den Frauen der Jahrgänge 1930 bis 1978 ausgewirkt hat. Berücksichtigt wurden nicht nur Ehepaare, sondern auch Partner, die einen gemeinsamen Haushalt führen.
Um für alle Jahrgänge solide Ergebnisse zu erhalten, haben die Wissenschaftler eine so genannte Mikrosimulation durchgeführt: Das heißt, sie schufen aus den 170.000 Frauen gleich eine ganze Bevölkerung: Wie lange hielten die Lebensgemeinschaften und Ehen bei den befragten Französinnen? Wann wurde ihr erstes, zweites, drittes oder viertes Kind geboren? Indem sie so die Parameter für die einzelnen Altersgruppen ermittelten, konnten die Forscher Partnerschaften, Trennungen und Familiengründungen von einer Million Menschen pro Jahrgang simulieren. Wie wahrscheinlich es ist, dass eine Frau ein erstes Kind bekommt oder die erste Lebensgemeinschaft eingeht, hängt dabei von ihrem Alter ab. Die Wahrscheinlichkeit für weitere Kinder wird nach dem Alter des jüngsten Kindes berechnet, und das Risiko einer Trennung ist von der Dauer der Beziehung abhängig. Auch zwei Extremszenarien wurden entworfen: Eine Bevölkerung, in der alle ersten Partnerschaften scheitern, und eine Bevölkerung, in der es keine Trennungen gibt.
Abb. 1: Die Chance, dass ein Paar mit einem gemeinsamen Kind ein zweites Kind bekommt, ist hier gleich eins gesetzt. Für Frauen, die sich nach der Geburt des ersten Kindes getrennt haben und eine neue Partnerschaft eingegangen sind, ist die Chance für ein zweites Kind gleich doppelt so hoch. Die Zahlen beziehen sich auf französische Frauen der Jahrgänge 1930 bis 1979. Quelle: EHF 1999, eigene Berechnungen
Dabei war das Ergebnis eindeutig: Frauen, die eine neue Partnerschaft eingehen, haben eine größere Chance, erneut schwanger zu werden, als Frauen in einer stabilen Partnerschaft (s. Abb. 1). So hat eine Mutter, die ein Kind aus einer beendeten Partnerschaft hat, in einer neuen Beziehung eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit für ein zweites Kind wie eine Frau, die mit dem Vater ihres ersten Kindes noch zusammenlebt. Wechselnde Partnerschaften könnten die Fertilität ankurbeln, schreiben die Autoren um die Wiener Demografinnen Alexia Fürnkrantz-Prskawetz und Maria Winkler-Dworak dazu. Denn der Wert eines gemeinsamen Kindes sei einzigartig und begründe den Status einer Familie. Ein oft beobachteter Zusammenhang, der unter dem Stichwort „Stieffamilien-Effekt“ gut bekannt ist.
Abb. 2: Die Abbildung zeigt, wie viele Kinder eine Frau im Durchschnitt noch bekommt, wenn ihre Partnerschaft x Jahre besteht (rot) beziehungsweise nach x Jahren getrennt wird (blau). Jede Trennung wirkt sich dabei negativ aus. Je später die Trennung erfolgt, desto geringer ist dieser Effekt allerdings. Die Zahlen beziehen sich auf Frauen, die in den 50er Jahren geboren wurden, gelten aber in der Tendenz für alle Jahrgänge. Quelle: EHF 1999, eigene Berechnungen
Und dennoch führt dieser Effekt nicht dazu, dass in einer Bevölkerung mit sehr hoher Trennungsrate mehr Kinder geboren werden als in Bevölkerungen mit vielen stabilen Partnerschaften (s. Abb. 2). Denn zum einen ist es in Stieffamilien wahrscheinlicher, dass sich die Lebenspartner erneut trennen. Zum anderen finden getrennte Frauen nicht immer und nicht sofort einen neuen Partner, mit dem sie weitere Kinder bekommen könnten. Das heißt, die Kinder, die zusätzlich in Stieffamilien geboren werden, sind aufgrund der höheren Trennungsraten und einer geringeren Dauer dieser Beziehungen nicht so zahlreich wie in stabilen Lebensgemeinschaften. Gerade wenn die Beziehung relativ früh scheitert, hat dies Auswirkungen auf die Zahl der Kinder: Hält die Partnerschaft nur ein Jahr, so bekommt die Frau im Durchschnitt 0,4 Kinder weniger als Frauen in intakten Beziehungen. Ist dagegen erst nach neun Jahren Schluss, sinkt die durchschnittliche Kinderzahl von getrennten Frauen um weniger als 0,2.
Inwieweit die verlorene Chance auf Kinder aus einer ersten Partnerschaft durch zusätzliche Kinder in der neuen Beziehung ausgeglichen wird, hängt auch von dem Zeitpunkt der ersten Geburt und der Trennung ab (s. Tab. 1). So gilt zum Beispiel für Frauen der Jahrgänge 1970-1979, die ihr erstes Kind vor dem 30. Lebensjahr bekommen haben: Trennten sie sich nach der Geburt des ersten Kindes, bekommen sie im Schnitt 0,32 Kinder weniger als Mütter, die sich nicht trennten. Waren sie bei der Geburt des ersten Kindes aber schon über 30 Jahre alt, liegt der Unterschied nur bei 0,11 Kindern. Eine Trennung nach dem zweiten Kind bedeutet für Frauen, die erst nach dem 30. Lebensjahr Mutter wurden, sogar so gut wie gar keine Veränderung bei der durchschnittlichen Kinderzahl. Weil ältere Mütter ohnehin weniger Kinder bekommen, fällt eine gescheiterte Partnerschaft hier weniger ins Gewicht. Das heißt gleichzeitig, dass sich eine Trennung bei den jüngeren untersuchten Jahrgängen, die eine klare Tendenz zur späteren Mutterschaft aufweisen, weniger auf die spätere Kinderzahl auswirkt als etwa bei den 1930 bis 1939 Geborenen (s. Tab. 1). Hatten bei diesen noch 81 Prozent bis zum 30. Lebensjahr ein Kind bekommen, so waren es bei den Jahrgängen 1960 bis 1968 bereits nur noch 70 Prozent.
Tab. 1: In den jüngeren Jahrgängen reduziert eine Trennung die erwartete Kinderzahl nicht mehr so stark wie in den älteren Jahrgängen. Das gilt vor allem für Frauen, die bei den Geburten bereits älter als 30 Jahre sind. Grundlage für die Zahlen sind Modellierungen von einer Million Lebensläufen pro Jahrgang. Quelle: Mikrosimulation, EHF 1999
Dennoch, so stellen die Autoren der Studie fest, ist es für Frauen und Männer immer schwieriger geworden, in einer einzigen Partnerschaft die gewünschte Zahl an Kindern auf die Welt zu bringen. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, mit einem neuen Partner zusätzliche Kinder zu bekommen.
Ob durch diese neuen Beziehungen insgesamt genauso viel oder vielleicht sogar mehr Kinder geboren werden als in nur einer intakten Partnerschaften, entscheidet auch darüber, ob eine Bevölkerung eine Geburtenrate über oder unter dem Bestandserhaltungsniveau von etwa 2,1 Kindern pro Frau hat, schlussfolgern die Autoren. In Frankreich ist das nicht der Fall. Allerdings könnte der Unterschied zwischen der Kinderzahl aus gescheiterten und neuen Beziehungen auf der einen sowie intakten Partnerschaften auf der anderen Seite etwas geringer sein, als hier dargestellt. Denn das Datenmaterial hat lediglich eine Anaylse der Frauen zugelassen. Ob ihre jeweiligen Partner Kinder aus vorherigen Beziehungen hatten, war nicht vollständig bekannt. Wenn es aber weitere Kinder aus früheren Beziehungen des Mannes gäbe, so wäre der Stieffamilien-Effekt in den Simulationen größer, als hier dargestellt. Darüber hinaus basieren die Simulationen ausschließlich auf den Partnerschafts- und Geburtshistorien der Frauen. Bei Männern aber wäre durchaus ein anderes Szenario denkbar: Weil sie zumeist nicht mit ihren Kindern aus der ersten Partnerschaft zusammenleben, könnten sie noch eher als Frauen willens sein, in einer neuen Beziehung weitere Kinder zu bekommen. Das heißt, eine Simulation basierend auf den Erfahrungen der Männer mit hohen Trennungs - und neuen Partnerschaftsraten, könnte genauso viele oder noch mehr Kinder hervorbringen als eine Simulation mit intakten Partnerschaften.