ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Bildung und Gesundheit

2023 | Jahrgang 20 | 2. Quartal

Keywords: Bildungshöhe, SOEP, Sozio-ökonomischer Status, Übergewicht, Rauchen

Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Mathias Hübener

Dass der sozioökonomische Faktor „Armut“ negativ mit der Gesundheit zusammenhängt, ist viel untersucht worden. Kinder, die in Armut aufwachsen, sind in vielerlei Hinsicht benachteiligt, unter anderem auch gesundheitlich. Sie kommen eher zu früh und mit geringerem Geburtsgewicht auf die Welt als Kinder aus besser gestellten Familien. Bei der Einschulung sind sie im Schnitt weniger schulreif, sie fangen früher und häufiger an zu rauchen. Im Erwachsenenalter erkranken sie häufiger an Asthma, Lungenkrebs, Bluthochdruck, Diabetes und Allergien. Außerdem haben Menschen, die in sozioökonomisch schwächere Familien geboren werden, eine geringere Lebenserwartung. Weniger weiß man aber darüber, ob einer der wichtigsten Faktoren zum Beschreiben des sozio-ökonomischen Familienhintergrunds, nämlich die Bildung der Eltern, auch einen kausalen Effekt auf die Gesundheit der Kinder hat. Einen dieser möglichen Effekte hat Mathias Hübener vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung unter die Lupe genommen. In seiner Studie, die im Fachmagazin „Journal of Human Resources“ erschienen ist, hat er untersucht, welchen kausalen Effekt die elterliche Bildung auf die Gesundheit ihrer Kinder im Kindes- und im Erwachsenenalter hat. Diese Perspektive ist neu, bisherige Studien hatten meist den Fokus auf die direkte Wirkung von Bildung auf die betroffenen Personen, nicht aber auf die Gesundheit ihrer Kinder. Der Einfluss der elterlichen Bildung auf die Gesundheit der Kinder wurde bisher auch deswegen wenig untersucht, weil es schwierig ist, viele störende Faktoren, die mit Bildung zusammenhängen, glaubwürdig auszuschließen und den Fokus allein auf den Bildungsstand der Eltern zu legen. 

Für die Studie untersuchte der Forscher zwei wichtige Gesundheitsindikatoren, nämlich das Rauchverhalten und das Übergewicht. Rauchen gilt allgemein als erheblicher Risikofaktor für die Gesundheit im Lebensverlauf und Übergewicht ist ein Indikator für andere ungesunde Lebensweisen, beispielsweise qualitativ schlechtes Essen und wenig Bewegung. Beide Faktoren sind auch starke Prädiktoren für zukünftige Gesundheitsprobleme und chronische Krankheiten, etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs, und damit ganz entscheidende gesundheitliche Risikofaktoren. Ziel der Studie war es, herauszufinden, inwieweit diese beiden Maße von dem Bildungsniveau der Eltern beeinflusst werden.

Um nur den Einfluss der Bildung der Eltern zu isolieren, nutzte Mathias Hübener einen besonderen Kniff: Er betrachtete Kinder von Eltern, die von einer Schulreform betroffen waren, die in Deutschland in den Jahren 1949 bis 1969 nach und nach in den einzelnen Bundesländern in Westdeutschland umgesetzt wurde. Bei dieser Reform wurde die Schulpflicht von acht auf neun Jahre erhöht. Die Reform betraf in erster Linie die Schüler*innen der Volks- beziehungsweise Hauptschulen, da Realschulen und Gymnasien auch damals schon längere Ausbildungszeiten bis zum Schulabschluss vorsahen. Gründe für die Reformen waren zunächst die hohe Jugendarbeitslosigkeit und wenig Ausbildungsplätze. Später erhoffte man sich von den Reformen, die Schulabgänger*innen besser für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Den Startschuss für die Reformen gab 1949 Hamburg. Mit dem Hamburger Abkommen von 1964 einigten sich dann alle Bundesländer auf die Mindestzahl von neun Schuljahren. Die Daten für die Studie lieferte zum einen der Mikrozensus, eine repräsentative Umfrage, die jeden hundertsten Haushalt umfasst. Weiterhin wurden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) verwendet, die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland.

Schuljahre der Mütter und deren Auswirkungen auf die Wahl der Schulformen der Kinder

Abb. 1: Der linke Teil der Abbildung zeigt die Wirkung der Schulreform auf die Bildungsjahre der Mutter: Nach Einführung des 9. Pflichtschuljahres besuchten die betroffenen Jahrgänge (hier werden nur die Daten der Mütter abgebildet) tatsächlich länger die Schule. Diese Reform wirkt sich auch auf die Schullaufbahn der Kinder aus, die häufiger Realschulen oder Gymnasien besuchten. Auf der X-Achse ist das Geburtsjahr der Mütter relativ zum Reformjahr (gestrichelte Linie) der Pflichtschulzeit abgebildet.

Der Wissenschaftler untersuchte den Effekt der Bildung beider Eltern. Dabei stellte er zunächst fest, dass ein weiteres Jahr mehr Bildung der Mutter einen Effekt auf die Bildung der Kinder hat: Die Kinder besuchten häufiger ein Gymnasium oder eine Realschule (siehe Abb. 1). Weiterhin zeigt sich ein deutlicher Effekt auf die Gesundheit der Kinder: Ein weiteres Jahr mehr Bildung der Mutter reduzierte die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit dem Rauchen anfangen, um 17 Prozent und die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder übergewichtig sind, um 21 Prozent (siehe Abb. 2). Diese Effekte blieben außerdem bis ins Erwachsenenalter bestehen. Sie ließen sich nur für Mütter nachweisen, nicht aber für die Väter (Ergebnisse für die Väter sind nicht dargestellt), was Mathias Hübener darauf zurückführt, dass Mütter in den betrachteten Kohorten eine größere Rolle in der Erziehung spielen.

Schuljahre der Mütter und Gesundheitsverhalten der Kinder

Abb. 2: Die Zahl der Jahre, die Mütter in der Schule verbringen, wirkt sich positiv auf das Gesundheitsverhalten der Kinder aus. Auf der X-Achse ist das Geburtsjahr der Mütter relativ zum Reformjahr (gestrichelte Linie) der Pflichtschulzeit abgebildet.

In einem weiteren Schritt hat der Forscher dann untersucht, wie dieser Effekt zustande kommt. Eine wesentliche Erklärung könnte darin bestehen, dass Kinder bessere Schulformen besuchen. Daten des Mikrozensus zeigen, dass Kinder in Realschulen oder Gymnasien um 46 Prozent seltener rauchen, um 50 Prozent seltener übergewichtig sind und 2,6-mal häufiger Eltern mit Hochschulzugangsberechtigung haben als Kinder, die eine Hauptschule besuchen. Daher könnten alle Auswirkungen auf die Schullaufbahn von Kindern Veränderungen in ihrer Peer-Umgebung im Jugendalter implizieren. Und tatsächlich zeigt sich, dass diese Kinder in einer besseren Schulumgebung aufwachsen, in der Mitschüler*innen selbst seltener rauchen oder übergewichtig sind (siehe Abb. 3). 

Schuljahre der Mütter und Gesundheitsverhalten der Mitschüler*innen

Abb. 3: Da Kinder von Müttern, die länger die Schule besuchen, eher Realschulen und Gymnasien besuchen, weisen auch ihre Mitschüler*innen eher ein besseres Gesundheitsverhalten auf – was wiederum die Wirkung auf das eigene Gesundheitsverhalten der Kinder erklären kann. Auf der X-Achse ist das Geburtsjahr der Mütter relativ zum Reformjahr (gestrichelte Linie) der Pflichtschulzeit abgebildet.

Als weitere Faktoren, die zwar jeder für sich nicht signifikant sind, aber in der Summe trotzdem einen positiven Effekt haben könnten, nennt der Wissenschaftler eine Wirkung der elterlichen Bildung auf das Familieneinkommen, die Stabilität der Familie, Fertilitätsentscheidungen und Entscheidungen über die Verteilung von Ressourcen innerhalb der Familie.

Die Ergebnisse zeigen also, dass der sozioökonomische Hintergrund das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit von Kindern unmittelbar beeinflusst. Die Studie trägt damit dazu bei, besser zu verstehen, wie sich sozioökonomische Faktoren über Generationen hinweg auswirken. Vergleichbare Studien zum generationenübergreifenden Einfluss von Bildung auf die Gesundheit von Kindern hat es bisher wenige gegeben. Die Studie legt damit nahe, dass die Wirkung von Bildung noch viel größer ist, als bisher angenommen wurde, wenn auch intergenerationale Effekte berücksichtigt werden.

Literatur

  • Huebener, M.: The effects of education on health: an intergenerational perspective. The Journal of Human Resources [First published online: 10 November 2022].
    DOI: 10.3368/jhr.0219-10060R2

Aus Ausgabe 2023/2

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