Vienna Institute of Demography

Aufschwung, Abschwung, aber kein nachhaltiger Geburtenrückgang

2023 | Jahrgang 20 | 3. Quartal

Keywords: Geburtenrate, Ländervergleich, Pandemie, Regionale Geburtenentwicklung

Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Tomáš Sobotka

Zu Beginn wurde viel spekuliert – führt die Pandemie dazu, dass mehr Kinder geboren werden oder schieben die Menschen ihre Kinderwünsche eher auf? Die Wissenschaft versuchte, mithilfe von Umfragen frühzeitig ein erstes Bild zu zeichnen, mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen. Doch um das Geschehen tatsächlich analysieren zu können, musste man warten, bis die letzten Kinder, die während der Pandemie gezeugt wurden, auf die Welt kamen. Das war nun der Fall, und eine Gruppe von Forscher*innen vom Vienna Institute of Demography und vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat diese Daten für 38 Länder analysiert. Die Daten stammen aus der Human Fertility Database (HFD), einer Datenbank, die historische und aktuelle Daten zur Perioden- und Kohortenfertilität enthält. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde dieser Datenbank eine neue Datenquelle hinzugefügt, die Short-Term Fertility Fluctuations (STFF), die monatliche Geburtenziffern für ausgewählte Länder liefert. Dies ermöglichte den Forscher*innen, monatliche Geburtstrends zu analysieren – ein Novum, weil Daten zu Geburten bis zur Einführung von STFF nur jährlich zur Verfügung standen.

Veränderung der Zahl der Lebendgeburten im Vergleich zu den Monaten vor der Pandemie

Abb. 1: Monatliche Veränderung der Zahl der Lebendgeburten im Vergleich zum gleichen Monat in der Zeit vor der Pandemie (November 2019 bis Oktober 2020, d.h. Geburten der Kinder, die vor März 2020 gezeugt wurden). In Rot sind Länder mit dem größten Anstieg der Geburtenziffer eingezeichnet, in Blau die Länder mit dem größten Rückgang der Geburtenziffer. (1) ist der Einbruch zu Beginn der Pandemie, (2) die darauffolgende Erholung der Geburtenzahlen. (3) kennzeichnet einen erneuten Rückgang in der späten Phase der Pandemie.
Quelle: HFD, eigene Berechnungen

Man weiß, dass Unsicherheiten zu Geburtenrückgängen führen. Die Forschung hat drei Kategorien von Umbrüchen ausgemacht, die zu so viel Verunsicherung führen, dass sie meist mit Einbrüchen der Geburtenziffern einhergehen: Wirtschaftskrisen, Pandemien und politische Umbrüche. Manchmal sind diese Einbrüche kurzfristig, häufig aber auch von Dauer. Die COVID-19-Pandemie wurde von vielen als disruptiver Schock wahrgenommen, der neue Unsicherheiten mit sich brachte. Die Hypothese, dass dieser Schock den langfristigen Trend zu niedrigen oder sehr niedrigen Geburtenraten beschleunigen würde, ist also naheliegend. Dementsprechend gingen viele Forscher*innen davon aus, dass auch diese Pandemie zu einem Rückgang der Geburtenzahlen führen würde, eine Annahme, die sich teilweise auch in Umfragen bestätigen ließ: Die Leute gaben an, dass sie Kinderwunschpläne wegen Ängsten vor finanzieller Unsicherheit oder Ängsten wegen einer unsicheren Zukunft und den gesundheitlichen Folgen der Pandemie zurückgestellt haben. Hinzu kamen Einschränkungen im Alltagsleben, Hochzeiten wurden verschoben, das Treffen mit anderen Menschen war nur bedingt möglich.

Ländervergleich: Veränderung der Zahl der Lebendgeburten im Vergleich zu den Monaten vor der Pandemie

Abb. 2: Monatliche Veränderungen der Zahl der Lebendgeburten im Vergleich zum gleichen Monat in der Zeit vor der Pandemie (November 2019 bis Oktober 2020, d.h. Geburten von Kindern, die vor März 2020 gezeugt wurden) in ausgewählten Ländern, November 2020 bis Dezember 2022. Der erste rote Balken zeigt die Lebendgeburten von Januar bis
Oktober 2020 zum Vergleich. Quelle: HFD, eigene Berechnungen

Doch der befürchtete langfristige Geburtenrückgang ist ausgeblieben, so eines der Ergebnisse der Forscher*innen. Der Beginn der Pandemie war in den meisten Ländern mit einem Geburtenrückgang verbunden (s. Abb. 1), mit wenigen Ausnahmen, darunter Deutschland und Finnland. Den stärksten Rückgang hatte Spanien zu verzeichnen, dort fielen die Geburtenzahlen um 21 Prozent. Auf den Rückgang folgte jedoch bald eine rasche und eher unerwartete Erholung: 30 von 38 Ländern meldeten einen Anstieg der Zahl der Geburten im März 2021. Neun Länder meldeten sogar einen Anstieg um über 10 Prozent. Dieser Anstieg ist auf Geburten von Kindern zurückzuführen, die von Juni bis Anfang Juli 2020 gezeugt wurden, also zu einem Zeitpunkt, als die erste Welle der Pandemie endete und die damit verbundenen Lockdowns und Beschränkungen nachließen. So erlebten die meisten Länder innerhalb von einem halben Jahr eine doppelte Verschiebung der Geburtentrends, mit einem kurzzeitigen Rückgang, gefolgt von einem ebenso kurzzeitigen kleinen Babyboom. Teilweise verschob sich die relative Geburtendynamik zwischen Januar und März 2021 um etwa 20 Prozent.

Bei einer Betrachtung über längere Zeiträume ist vor allem auffällig, dass die Dynamik der Geburten von Land zu Land sehr stark variiert. So verzeichnete beispielsweise Portugal bis Anfang 2022 einen anhaltend starken Rückgang, während in Finnland in fast dem gleichen Zeitraum die Zahl der Geburten dauerhaft zunahm (s. Abb. 2). In vielen Ländern schwankten die Geburtenziffern über den Verlauf der Pandemie hinweg, wie zum Beispiel in den USA, in Ungarn und in Israel. Ein anderes Muster zeigte sich in Japan und Spanien: Beide Länder verzeichneten in der Frühphase der Pandemie einen starken Rückgang der Geburten, 2021 kehrten sie zu dem Vor-Pandemie-Trend eines moderaten Geburtenrückgangs zurück, 2022 wiederum vermeldeten sie dann einen stärkeren Rückgang.

Ein Ergebnis überraschte die Forscher*innen: ein völlig unerwartbarer Geburtenrückgang ab Januar 2022, der in vielen Fällen bis zum Sommer 2022 anhielt, dem jüngsten von den Wissenschaftler*innen untersuchten Zeitraum. Die Ursache für diesen Rückgang ist im Frühjahr 2021 zu suchen: Zu diesem Zeitpunkt wurden vielerorts die Beschränkungen gelockert, vor allem aber war dies der Zeitpunkt, zu dem das Impfen eines Großteils der Bevölkerung anstand. Vier mögliche Erklärungen bieten die Wissenschaftler*innen für diese Entwicklung an: Erstens könnte der Rückgang eine Rückkehr zum präpandemischen Trend sinkender Geburtenraten sein. Eine weitere Erklärung, die mit der ersten zusammenhängt: Die Wiederaufnahme des Arbeits- und Soziallebens könnte zu einer Welle von Geburtenverschiebungen beigetragen haben. Darüber hinaus könnten die Lockdowns dazu geführt haben, dass weniger Menschen Partner*innen finden und eine Familie gründen. Und viertens könnten die anstehenden Impfkampagnen einige Frauen dazu motiviert haben, eine Schwangerschaft vorübergehend zu vermeiden, aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen des Impfstoffs.

Insgesamt aber, so das Fazit der Forscher*innen, sei der Einfluss der Pandemie auf die Geburtenraten überraschend gering. In 19 der 38 analysierten Länder stieg oder sank die Zahl der Geburten zwischen Dezember 2020 und Dezember 2021 um durchschnittlich weniger als 3 Prozent im Vergleich zu der Zahl der Geburten bis Oktober 2020, also der Geburten der Kinder, die noch vor der Pandemie gezeugt wurden. Dies ist vergleichbar mit Schwankungen in Jahren, die nicht von externen oder politisch bedingten Schocks beeinflusst werden. Die Daten für 2022 zeigen in den meisten Ländern einen stärkeren Abwärtstrend, die beobachteten Geburtenzahlen entsprechen jedoch häufig immer noch den prognostizierten Trends der präpandemischen Geburtendynamik.

Die Forscher*innen konnten auch regionale Trends identifizieren: So konnten neben Neuseeland und Israel auch die nordischen Länder (insbesondere Finnland und Norwegen), die deutschsprachigen Länder und Westeuropa (insbesondere Belgien, Irland und die Niederlande) den größten Geburtenanstieg verzeichnen. In den Ländern Südeuropas (insbesondere Portugal), in Osteuropa, Polen und Chile hingegen beschleunigte sich der Geburtenrückgang. Gemein haben die Länder und Regionen mit einer positiven Geburtendynamik während der Pandemie, dass sie eine großzügigere und umfassendere Familienpolitik, stabilere Volkswirtschaften und die Menschen ein höheres Maß an Vertrauen haben. Schnelle und robuste staatliche Interventionen zur Stützung der Wirtschaft haben wohl nicht nur dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu erhalten und vielen Familien finanzielle Sicherheit zu bieten, sondern auch dazu, Unsicherheiten zu verringern und es für viele Menschen einfacher zu machen, ein (weiteres) Kind zu planen. Sowohl die Erholung des Arbeitsmarktes als auch die seit Mitte 2020 gestiegenen Haushaltsausgaben waren mit dem Anstieg der Geburtenraten verbunden. Trotz gesundheitlicher Notlage waren offensichtlich relativ viele Paare in der Pandemie bereit, ein Kind zu bekommen, wenn sie ihre wirtschaftliche Situation und ihre Einkommensaussichten positiv einschätzten.

Literatur

  • Sobotka, T., K. Zeman, A. Jasilioniene, M. Winkler-Dworak, Z. Brzozowska, A. Alustiza-Galarza, L. Németh and D. Jdanov: Pandemic roller-coaster? Birth trends in higher-income countries during the COVID-19 pandemic. Population and Development Review [First published online: 25 April 2023].
    DOI: 10.1111/padr.12544

Aus Ausgabe 2023/3

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