Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Elterngeld nur ein Teil in einem großen Puzzle

2006 | Jahrgang 3 | 2. Quartal

Keywords: Elterngeld, Nordische Länder, Familienpolitik, Geschwisterbonus, Geburtenrate, Frauenerwerbstätigkeit

Gerda Neyer

Im Juni 2006 beschloss der Koalitionsausschuss der deutschen Bundesregierung, für Geburten von 2007 an das Erziehungsgeld durch ein einkommensabhängiges Elterngeld zu ersetzen. Damit vollzieht die Bundesregierung 20 Jahre nach Einführung des Erziehungsgeldes eine Wende in der deutschen Familienpolitik. Das bislang gültige Erziehungsgeld beträgt 300 Euro pro Monat für maximal zwei Jahre, sofern das Haushaltseinkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet. Das neue Elterngeld soll dagegen 67 Prozent des vorangegangenen individuellen Einkommens bis maximal 1800 Euro pro Monat ersetzen. Es wird bis 14 Monate gewährt, wobei zwei Monate je einem Elternteil vorbehalten sind. Eltern, die innerhalb einer bestimmten Frist nach einer Geburt ein weiteres Kind bekommen, sollen einen Geschwisterbonus auf das Elterngeld erhalten. 

Die Änderungen bedeuten eine Abkehr von der Elternzeitpolitik hin zu den Elternzeitmodellen der nordischen Länder. Dort wurde bereits in den 1970er- bzw. frühen 1980er-Jahren ein einkommensabhängiges Elterngeld eingeführt, das einen relativ großen Teil des vorangegangenen Einkommens ersetzt. Gegenwärtig erhalten Eltern während der Elternzeit in Finnland rund 70 Prozent, in Schweden 80 Prozent sowie in Norwegen und Dänemark 100 Prozent ihres bisherigen Einkommens bis zu einer bestimmten Obergrenze. Mit der Einführung des Elterngeldes wurde die Elternzeit auch auf Väter ausgedehnt und sukzessive durch „Vätermonate“ oder Extra-Bonustage für Väter, die Elternzeit nehmen, ergänzt. 

Die Angleichung des deutschen Erziehungsgeldes an die Elterngeldmodelle der nordischen Länder war auch von dem Bestreben getragen, die Bereitschaft von Frauen und Männern, ein (weiteres) Kind zu haben, zu unterstützen. Die im europäischen Vergleich relativ hohen Fertilitätsraten in den nordischen Ländern nähren die Hoffnung, durch eine den nordischen Ländern ähnliche Elternzeitpolitik der geringen Geburtenneigung in Deutschland entgegenzuwirken. Umso bedeutsamer ist die Frage, wie sich in den nordischen Ländern Elterngeld, Inanspruchnahme der Elternzeit durch Väter und Einführung einer „Geschwindigkeitsprämie“ für ein Geschwisterkind, das innerhalb von maximal 30 Monaten nach der vorangegangenen Geburt zur Welt kommt, auf das Geburtenverhalten ausgewirkt haben. 

Abb. 1: Standardisierte Zweitgeburtenraten in den nordischen Ländern: Die Kreise geben das Jahr an, von dem an das Elterngeld in annähernd der Höhe des vorangegangenen Einkommens gezahlt wurde.

Studien des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, die die Entwicklung von ersten, zweiten und weiteren Geburten in allen oder einzelnen nordischen Ländern untersuchen, geben dazu eine differenzierte Antwort. Abbildung 1 zeigt das Jahr der Einführung des Elterngeldes (Kreise) und die Entwicklung der Zweitgeburtenraten in den nordischen Ländern. In allen nordischen Ländern (außer Schweden) hat sich nach Einführung eines Elterngeldes mit Einkommensersatzquoten zwischen (damals) 80 und 100 Pozent die Neigung von Müttern, ein zweites Kind zu haben, verstärkt. In Norwegen, wo das Elterngeld (mit 100 Prozent Einkommensersatz) seit 1978 besteht, stoppte der Rückgang der Zweitgeburtenrate. In Finnland stieg die Zweitgeburtenrate. Auch in Dänemark, das seine Mutterschafts- und Elternzeitregelungen von 1981 bis 1985 verbesserte, kam es zu einer Trendumkehr bei den Zweitgeburtenraten. Nur in Schweden lässt sich keine unmittelbare Veränderung im Geburtenverhalten von Müttern mit einem Kind erkennen. Dort setzte der Anstieg der Zweitgeburtenraten verzögert ein. 

Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Zweitgeburtenraten gibt es auch für Drittgeburten und Erstgeburten von über 30-jährigen Frauen. Doch auch Arbeitsmarktlage, aktive Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, Gleichheitspolitik und Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen können zum Anstieg der Geburtenraten beigetragen haben, sodass trotz der zeitlichen Nähe zwischen Einführung des Elterngeldes und der Veränderungen im Geburtenverhalten diese nicht ausschließlich auf die Elterngeldpolitik zurückgeführt werden können. Doch scheint die Einführung des Elterngeldes mit annäherndem Einkommensersatz eine Veränderung im Geburtenverhalten in Gang gesetzt oder eine bereits begonnene Veränderung verstärkt zu haben. 

Dass Elterngeld zur Geburtenförderung nicht ausreicht, zeigt das Beispiel Schwedens in den 1990er- Jahren. Die ökonomische Krise in den frühen  1990er-Jahren und der damit verbundene Anstieg der Arbeitslosigkeit führten zu einem drastischen Rückgang der Geburten in Schweden. Dieser war überwiegend durch eine geringere Geburtenneigung von nicht-erwerbstätigen Frauen bedingt. Nichterwerbstätige Frauen entscheiden sich, unabhängig von der Arbeitsmarktlage, seltener für ein Kind als erwerbstätige Frauen. Nicht zuletzt als Folge des einkommensbezogenen Elterngeldes entschließen sich Frauen in den nordischen Ländern eher für ein Kind, wenn sie selbst ein hinreichendes Einkommen beziehen. Die Wirkungen des Elterngeldes auf die Geburtenentwicklung werden daher auch in Zukunft von den Erwerbsmöglichkeiten von Frauen abhängen. Dies könnte zudem auf die „Geschwindigkeitsprämie“ für Geschwister zutreffen, die ebenfalls auf der Basis des vorangegangenen Einkommens gewährt wird. Dennoch könnte diese Maßnahme zu einer Verkürzung des Geburtenabstandes führen. Genau diesen Effekt hatte die Geschwindigkeitsprämie in Schweden. Frauen bekommen heute in Schweden ein zweites oder weiteres Kind deutlich rascher nach der vorangegangenen Geburt als vor Einführung der Prämie.

Literatur

  • Andersson, G., J.M. Hoem and A.-Z. Duvander: Social differentials in speed-premium effects in childbearing in Sweden. Demographic Research 14(2006)4: 51-70.
  • Neyer, G.R., G. Andersson, J.M. Hoem, M. Rønsen und A. Vikat: Fertilität, Familiengründung und Familienerweiterung in den nordischen Ländern. Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock (MPIDR working paper) [im Erscheinen].

Aus Ausgabe 2006/2

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